Pollutionsgefahr   Vollendete natürliche Sinnenlust, nicht vollendete natürliche Sinnenlust, einfache Unzucht, schwere Unzucht, Ausschweifung, Menschenraub, Prostitution, geforderte und erfüllte eheliche Pflicht, Ehehindernis durch Impotenz, Küsse auf die nicht üblichen Körperteile, Küsse auf die ehrbaren Teile, Küsse nach Art der Tauben, ohne Hintergedanken ausgetauschte Küsse, Küsse als Ausdruck von Weltläufigkeit, das Verströmen der Samenflüssigkeit, einfache und schwere Masturbation, das genußvolle Verweilen bei sündigen Gedanken, die Keuschheit, der vorsätzliche Samenerguß an sich oder von seiner Ursache her, der unwillkürliche nächtliche Samenerguß, die Gefahr eines Samenergusses, die Sodomie, der Verkehr mit Tieren, unkeusche Berührungen, Berührungen zwischen Ehegatten, das natürliche Gefäß der Frau, das vordere Gefäß, das hintere Gefäß, die Kultgefäße, szenisch-theatralische Darbietungen, das Tanzen, zügellose Bewegungen, der Reitsport, das tropfenweise Ausscheiden, unzureichender Samen, die Genitalgeister, der Dämon, die Unkeuschheit, der Stachel des Fleisches, die Fortpflanzung der Gattung, die heilige Embryologie – und der ganze Maultiermist der Kirchenlehrer.

Der Wert der Wörter ist uns bekannt, und die Gefahr eines Samenergusses oder die Pollutionsgefahr ist eine so alte Gewohnheit für uns geworden, daß wir an ihr „als Ausdruck von Weltläufigkeit“ mit Stolz Vergnügen finden. Es gibt dank den Bemühungen der Kirchenlehrer Grenzlinien, die mit abscheulicher Präzision über die Körper der Frauen gezogen sind und sie in Schamteile und ehrbare Partien zerteilen. Diese Grenzen können infolge einer überwältigenden Leidenschaft bisweilen verschwinden, um mit ihrer ekelhaften Schärfe wieder aufzutauchen, bis der gesegnete Tag kommt, an dem ein wundervolles Massaker die Erde für immer von dem klerikalen Gelichter befreien wird.

Die Liebe ist die große Feindin der christlichen Moral.

Damit, daß die Kirche mit Hilfe des Bußsakraments oder Beichte genannten Einbruchsdelikts in das Bewußtsein und in das Unterbewußtsein der Menschen eindringt, hat sie das zuverlässigste Instrument gefunden, um an Ort und Stelle mühelos alles kaputtzumachen, was nach Liebe strebt. Skandalöserweise verfügt sie, um ihre Sabotageakte zu voller Wirkung zu bringen, über alle Mittel des Justizapparats: Verurteilungen auf Zeit, zu lebenslänglichen Strafen, zu den Qualen des schlechten Gewissens, zum ewigen Feuer, Strafaufschub, Vorbehaltsfälle, die Absolution mit ihrer barmherzigen Milde.

Die Kasuisten haben mit ekelhafter Deutlichkeit die Grenzlinien gezogen, die verbotene, halb verbotene, geduldete und löbliche erotische Zonen voneinander trennen. Es gibt unzählige Fälle, und die Patres widmen sich ihnen mit Wonne. Man kann die Vielfalt auf einige Standardfälle reduzieren; zum Beispiel: das Verströmen der Samenflüssigkeit in das vordere Gefäß (Kirchenjargon!) der Frau kann eine Todsünde und eine läßliche Sünde sein; es kann aber je nach den Umständen auch sündenfrei oder löblich sein. Todsünde ist es im Falle von Unzucht, Ehebruch usw.; läßliche Sünde, wenn das vordere Gefäß dasjenige der Ehefrau des Inkriminierten ist, der Koitus aber allein aus Leidenschaft vollzogen wird; sündenfrei ist der eheliche Beischlaf, der in der Absicht vollzogen wird, Kinder zu zeugen; Todsünde ist er, wenn die Ehegatten den Koitus in dem Gefäß beginnen, „das nicht für ihn vorgesehen ist“, selbst unter dem Vorbehalt, daß er im „natürlichen Gefäß“ beendet wird. Die Ehegatten begehen eine läßliche Sünde und sind streng zu tadeln, wenn der Mann zur Steigerung seiner Lust die Frau von hinten nimmt, „wie es die Hunde tun“, oder wenn er sich unter sie legt. Wenn es jedoch absolut unmöglich ist, auf andere Weise zu koitieren, zum Beispiel während der Schwangerschaft, liegt keine Sünde vor. Das Verströmen der Samenflüssigkeit in das „hintere Gefäß“ (Klerikaljargon!) stellt immer eine Todsünde dar. Das Verströmen der nämlichen Flüssigkeit in ein von der Kirche geweihtes und für die religiösen Kulte bestimmtes Gefäß gilt als abscheuliches Verbrechen und stellt in allen Diözesen einen „Vorbehaltsfall“ dar. Der eheliche Akt zwischen Verheirateten kann löblich werden, falls er vollzogen wird, um dem Ehepartner die vor Gott gelobte Treue zu halten, mit einer religiösen Zielsetzung, um Kinder zu bekommen, die Gott treu dienen, oder als Versinnbildlichung der Vereinigung Christi mit der Kirche. (Die Kirchenlehrer hüten sich – ganz offensichtlich aus Gründen des Anstands – , genauer anzugeben, wer beim Vollzug des Familienbeischlafs Christus und wer die Kirche symbolisiert, oder uns darüber zu unterrichten, ob die Unzucht, die Sodomie, der Verkehr mit Tieren, der nächtliche oder tägliche Samenerguß usw. usw. durch ähnliche Versinnbildlichungen ebenfalls löblich werden können!)

Die Kirche hat vor der Sünde Liebe als Machtmittel ein erbärmliches Sakrament und eine erbärmliche „Tugend“ aufgebaut: die Ehe und die Keuschheit (die eheliche Pflicht und die chronisch nicht vollendete Sinnenlust!). Die Sinnenlust! Die vollendete natürliche Sinnenlust, die nicht vollendete natürliche Sinnenlust, die Unz… usw. usw. (siehe obengenannten Maultiermist der Kirchenlehrer).

Les Diaconales ou Manuel Secret du Confesseur (Die Diakonalien oder Geheimes Handbuch des Beichtvaters) von Seiner Exzellenz Bouvier, Bischof von Le Mans, sind eine dicke, großformatige Schwarte. Die Liebe wird darin nicht erwähnt, aber in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Dieses Buch handelt zunächst vom sechsten der zehn Gebote, dann von den ehelichen Pflichten, und zum Schluß folgt die heilige Embryologie.

So wie eine Frau ihre „Schamteile“ verbergen muß, muß die Kirche ihre schweinische Literatur verstecken. Sie ist in lateinischer Sprache verfaßt, und ihre Lektüre ist Priestern und Diakonen vorbehalten. Der Librairie Anticléricale gebührt das Verdienst, diesen unsäglichen theologischen Quark, der im Übermaß die ganze Plumpheit, die ganze Abscheulichkeit der christlichen Moral in sich birgt, vor fünfzig Jahren in französischer Sprache herausgebracht zu haben.

Seine Exzellenz Bouvier, Bischof von Le Mans, wurde dafür, daß er mit diesem Stallmist niedergekommen ist, von Seiner Heiligkeit Pius IX. zum römischen Grafen ernannt und als Prälat seines Vertrauens, der dem heiligen Stuhl zur Seite steht, in den persönlichen Stab des Oberhirten aufgenommen.

Ein paar Kostproben:

„...weswegen einer, wenn er seines Willens nicht allzu sicher ist, daß es ihm unmöglich sei, der Masturbation zu widerstehen, wenn er verliebt die ehrbaren Teile einer Frau anblickt, ihre Hände streichelt, seine Finger in die ihrigen schlingt oder sie sogar mit Anstand, aber ohne einleuchtenden Grund küßt, sich auf die Gefahr hin, eine Todsünde zu begehen, dieser Handlungen enthalten muß...

...wenn man sich aber damit begnügt, das Kleid einer Frau nur leicht zu berühren, scheint uns dies keine Todsünde zu sein, denn diese Handlung ist als solche nicht so geartet, daß sie uns in naher Zukunft zu geschlechtlichen Handlungen verleitet.

Berührungen zwischen Ehegatten, deren Ziel es ist, zum legitimen Fleischesakt zu gelangen, sind zweifellos zulässig, vorausgesetzt, daß sie nicht die Gefahr eines Samenergusses nach sich ziehen; sie sind nämlich wie das Zubehör zu diesem Akt. Verfolgten sie jedoch das Ziel, ein stärkeres Lustgefühl zu erwirken, würde daraus eine läßliche Sünde resultieren, obwohl sie auf den Fleischesakt abzielt. Die Sünde wäre aber eine Todsünde, wenn diese Berührungen, obwohl im Blick auf den Fleischesakt vorgenommen, der gesunden Vernunft in schwerwiegender Weise widerstrebten, wie das Ansetzen der Genitalien auf ein anderes Gefäß als das natürliche oder wenn die Ehegatten beispielsweise ihren Mund gegenseitig auf die Geschlechtsteile ansetzten, um sie nach Art der Hunde zu belecken.

Obszöne Worte zwischen Ehemann und Frau sind keine Todsünden, es sei denn, sie verursachten die schwere Gefahr eines Samenergusses; doch das geschieht sehr selten; deshalb werden sich die Beichtiger nur sehr wenig damit befassen müssen...

...Es ist nicht erlaubt, die Erfüllung der ehelichen Pflicht aus Furcht, eine zu große Zahl von Kindern zu bekommen, zu verweigern: Die Ehegatten müssen auf Gott vertrauen, der den Tieren und ihren Kleinen Nahrung gibt, wenn sie darum bitten; mit der Segnung der Fruchtbarkeit segnet er oft auch die irdischen und geistigen Güter und erlaubt so, daß unter den Kindern eines zur Welt kommt, das eine ansehnliche Mitgift ins Haus und der ganzen Familie Glück bringt...

...Aber sich schminken, nur um den Männern zu gefallen und ohne legitime Heiratsabsicht, ist eine Todsünde…

...Man fragt: Ist die Ehe rechtsgültig, wenn die zu enge Frau sich infolge eines Beischlafs mit einem anderen Mann als ihrem Ehegatten ausgeweitet hat?

Antwort: Die allgemein vertretene Ansicht ist, daß die Ehe rechtsgültig ist, weil… usw. Die Ehegatten begehen eine Todsünde, wenn sie beim Vollziehen des ehelichen Aktes ehebrecherische Begierden haben, zum Beispiel indem sie sich vorstellen, eine andere Person vor sich zu haben, und vorsätzlich Gefallen an dem Gedanken finden, der Beischlaf werde mit dieser Person vollzogen… Wenn der Mann die eheliche Pflichterfüllung mit dem Wunsch fordert oder ihr nachkommt, seine Frau möge während der Geburtswehen sterben.

Der Fleischesakt ist eine Todsünde, wenn er an einer heiligen Stätte vollzogen wird, selbst in Kriegszeiten… (sic) Man fragt: Sollte man liederliche Frauenzimmer tolerieren?

Antwort: Die Theologen vertreten dazu eine doppelte Meinung.

Die meisten erklären, die Sache sei erlaubt, um – wie sie sagen – größere Sünden zu vermeiden: die der Sodomie beispielsweise oder die des Verkehrs mit Tieren, die Masturbation und die Verführung ehrbarer Frauen. ‚Nehmt die Kurtisanen weg, und ihr stiftet allenthalben Verwirrung’, sagt der heilige Augustinus… usw.

...Möchten Sie gefahrlos erfahren, ob sich Ihr Beichtkind das Masturbieren angewöhnt hat? Hier ist die Methode, an die man sich halten sollte: Fragen Sie den Betreffenden zunächst über seine Gedanken, anstößigen Redensarten, nackten Auftritte vor anderen Personen aus. Fragen Sie ihn, ob er häufig seine Genitalien und die anderer berührt und ob er erlaubt hat, daß andere die seinigen berühren. Aber vielleicht ist er noch nicht geschlechtsreif? Dann fragen Sie ihn nicht über die Masturbation aus, denn wahrscheinlich kennt er in seinem Alter dieses Laster noch nicht, es sei denn, er kommt Ihnen sehr verdorben vor. Wenn er aber geschlechtsreif ist und von sich aus zugibt, unzüchtige Berührungen mit anderen Personen vorgenommen oder mit Kameraden, die älter sind als er, geschlafen zu haben, können Sie intuitiv sicher sein, daß es zur Masturbation gekommen und Sperma geflossen ist. Gleichwohl soll der Beichtiger umsichtig vorgehen. ‚Haben Sie’, so wird er fragen, ‚ein Prickeln in Ihrem Körper, ein Schaudern in Ihrem Fleisch verspürt? Haben Sie in Ihren verborgenen Teilen ein angenehmes Lustgefühl verspürt, nach dem alle Ihre übrigen Empfindungen sich verflüchtigt haben?’ Antwortet das Beichtkind mit ‚Ja’, ist offenkundig, daß es masturbiert hat, denn die heftigen, Lustgefühle auslösenden Bewegungen deuten klar darauf hin, daß Sperma geflossen ist; es ist nicht so wichtig, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelt, das Resultat ist das gleiche...

...Nicht sehr von Bedeutung ist das Gefäß, in das hinein einerseits Männer untereinander und andererseits Frauen untereinander den Koitus praktizieren; denn egal, ob es das vordere oder das hintere Gefäß oder ein anderer Teil des Körpers ist, der Frevel der Sodomie bleibt der gleiche usw.

...es ist eine um so schlimmere Beleidigung der Natur, wenn die Frau zur Handelnden und der Mann zum Erduldenden wird usw. … Vergessen wir vor allem nicht jene andere Sodomie, die in der fleischlichen Vereinigung zwischen Personen unterschiedlichen Geschlechts besteht, aber außerhalb des natürlichen Gefäßes praktiziert wird. Indem man sein männliches Glied beispielsweise in den Mund, zwischen die Brüste, die Beine oder die Schenkel usw. usw. der passiven männlichen oder weiblichen Person steckt. Man fragt: Dürfen verheiratete Frauenspersonen und Witwen in dem Gedanken an einen künftigen oder zurückliegenden Fleischesakt schwelgen?

Antwort: Es ist wahrscheinlich, daß Verlobte und verwitwete Personen eine Todsünde begehen, wenn sie in diesem fleischlichen Ergötzen schwelgen, welches die Vorausschau auf einen zukünftigen Koitus oder die Erinnerung an einen zurückliegenden in den Sinnen hervorruft.

Der Ehemann, der sich in Abwesenheit seiner Frau an der Vorstellung des Fleischesaktes ergötzt, so als vollzöge er ihn im nämlichen Augenblick, oder der daran denkt, begeht eine Todsünde, vor allem wenn die Genitalgeister dadurch in starke Erregung versetzt werden – übrigens nicht, weil er in dem fiktiven Lustgefühl einer Sache schwelgt, die ihm verboten ist, sondern nur, weil er sich der schweren Gefahr einer Ejakulation aussetzt...

...der Priester, der sich beim Verabreichen der Sakramente, beim Zelebrieren der Messe oder beim Tragen der heiligen Gewänder zum Zwecke der Meßfeier oder gar beim Herabsteigen vom Altar der Masturbation hingibt, kann für dieses doppelte Sakrikeg keine Vergebung erhalten.“

Eine Minute des Schweigens und der Andacht, wenn ich bitten darf! Ich beende hier das Zitieren aus den Diaconales, wobei ich vorsätzlich in der Vorstellung schwelge, daß der sympathische Leser oder die charmante Leserin etliche Augenblicke „genußvoll bei dem sündigen Gedanken“ an das überwältigende Bild des Priesters verweilen, der, mit dem priesterlichen Ornat bekleidet und nachdem er das unbefleckte Lamm in Händen gehalten hat, die Altarstufen herabsteigend majestätisch masturbiert. Dieses Bild könnte an Schönheit nur noch von demjenigen zweier Priester übertroffen werden, die sich, mit dem priesterlichen Ornat bekleidet und nachdem sie das unbefleckte Lamm in Händen gehalten haben, majestätisch die Altarstufen herabsteigend der wechselseitigen Masturbation hingegeben und sich, unten und am Ziel angelangt, für ihr vierfaches Sakrileg gegenseitig die Absolution erteilen.

Es ist seltsam, festzustellen, daß kein Hund je die Stimme zum Protest gegen die Beleidigungen, die seiner Rasse durch die Rasse der Priester zugefügt worden sind, und gegen den meist herabsetzenden Gebrauch des Wortes ‚Hund’ in der kirchlichen Argumentation, namentlich der Redensart nach Art der Hunde, erhoben hat. Auf diese Verunglimpfungen haben die Hunde stets mit souveräner Verachtung und der Sanktion des Schweigens reagiert. So hat man noch nie einen Hund einen Beichtstuhl betreten sehen, um dort in der Absicht, den Priester zu demütigen, das Geständnis abzulegen, er habe den Koitus nach Art der Christen vollzogen (um Kinder zu bekommen, die Gott treu dienen). Man hat auch noch keinen Hund gesehen, der sich bemüht hätte, der göttlichen Gerechtigkeit durch Tränen, Almosen, Gebete und Fastentage zu genügen, nachdem er sich an einem abgelegenen Ort mit einer befreundeten Hündin über wollüstige Dinge unterhalten und ihr etwas über den Koitus und die Wonnen erzählt hat, den Liebesakt auf verschiedenerlei Arten zu vollziehen. Noch nie hat man zwei Hunde gleichen oder unterschiedlichen Geschlechts sich für ihre gemeinsam begangene Sünde nach Art der Priester gegenseitig die Absolution erteilen sehen, nachdem sie sich zusammen schandbaren Handlungen, unzüchtigen Berührungen oder lüsternen Küssen hingegeben haben. (Es ist übrigens sehr wahrscheinlich, daß in einem solchen Falle, und zwar selbst in einem heiligen Jahr, die Absolution unwirksam wäre und gegen die Hunde, die jenes zu tun wagten, der dem heiligen Stuhl vorbehaltene höhere Kirchenbann verhängt würde.) In unserer Diözese verzichtet jeder Hund, der etwas auf sich hält, rigoros auf jeden fleischlichen oder spirituellen Umgang mit Priestern oder Nonnen, nicht aus Achtung vor der heiligen Religion, sondern weil die Vernunft ihm sagt, daß nach einer solchen Besudelung keine Hündin, und sei es ein „liederliches Frauenzimmer“, noch etwas von ihm wissen will.

Die menschliche Rasse hingegen, vertrauensseliger und weniger stolz als die bellende Rasse, hat sich nicht geweigert, Beichtstühle zu betreten. Man hat mir sogar versichert, es gäbe jetzt noch Vertreter jener Rasse, die ihre Füße in diese Verschläge setzen. Dabei gibt es auf Erden kein treffenderes Bild für einen Hinterhalt als den Beichtstuhl in allen seinen Erscheinungsformen; kein Anblick ist mehr dazu angetan, einen vorsichtig zu machen, als der eines Beichtigers, der, den Vorschriften des heiligen Augustinus, des heiligen Thomas von Aquin, des heiligen Alphons von Liguori und Seiner Exzellenz Bouvier, schweinischen Bischofs von Le Mans und römischen Grafen, folgend, seinen Schandtaten nachgeht. Urteilt man nach dem physischen Aussehen und dem geistigen Elend der gegenwärtigen Menschheit, so muß man einräumen, daß die guten Beichtväter gute Arbeit geleistet haben: Die Menschen sind häßlich und furchterregend geworden, weil sie jahrhundertelang so oft einer Sache gefrönt haben, die die Mutter aller Laster ist: der Beichte. Ihre Verdauung ist in Unordnung geraten, weil sie so oft den anämischen Leib des Herrn geschluckt haben, ihr Geschlecht ist schlapp geworden, weil sie so oft die Lust abgetötet und die Art erhalten haben, ihre Leidenschaft ist erlahmt, weil sie so oft zu einer Jungfrau gebetet haben; ihr Verstand ist in der Finsternis von Andacht und Gebet versunken. Die Tugend des Stolzes, die einst die Schönheit des Menschen ausmachte, ist dem Laster der christlichen Demut gewichen, das seine Häßlichkeit ausmacht. Und die Liebe, die dem Leben einen Sinn geben soll, wird unter Aufsicht der klerikalen Polizei in Gewahrsam gehalten.

Die trübselige eheliche Pflicht, die erfunden wurde, um die Vermehrungsmaschine auf Touren zu bringen, um die Kirche mit Seelen, die sie verdummen kann, und die Vaterländer mit Individuen zu versorgen, die für die Erfordernisse des Produzierens und für den Militärdienst taugen, der trübselige eheliche Kopulationsakt, so wie ihn die Kirchenlehrer denen erlauben, die sich in Liebe vereinigen möchten, sind bloß eine Photographie, die dem Liebesakt nur ähnelt. Die Liebenden werden von der Kirche bestohlen. Die Liebe muß neu erfunden werden. Das hat Rimbaud gesagt.

Die Liebe muß wiedererstehen, aber nicht aus den vereinzelten Anstrengungen vereinzelter Menschen: Die wiedererstandene Liebe wird aus einem kollektiven Unterbewußtsein heraus geboren werden, und sie wird durch die Entdeckungen und Anstrengungen aller an die Oberfläche des kollektiven Bewußtseins emporsteigen müssen. Das aber ist unter der Herrschaft der klerikalen und kapitalistischen Polizei nicht möglich.

Die Liebe muß von allen gemacht werden und nicht nur von einem. Das hat Lautréamont gesagt – oder beinahe jedenfalls.  - Max Ernst, Pollutionsgefahr. In: Le Surréalisme au Service de la Révolution, Nr. 3, Dez. 1931. Übers. Heribert Becker

 

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