Poirot, Hercule   »Sagen Sie, Poirot, tritt denn niemals die Versuchung an Sie heran, Ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen? Dieses passive Leben . . .«

»Bekommt mir ausgezeichnet, mein Freund. In der Sonne zu sitzen - kann es etwas Bezaubernderes geben? Auf der Höhe des Ruhms vom Schauplatz abzutreten - welch erhabene Geste! Man raunt und tuschelt von mir: ›Das ist Hercule Poirot! Der Große, der einzige! Was er leistet, hat nie zuvor jemand geleistet und wird auch nach ihm niemand leisten!‹ Eh bien - das genügt mir. Mehr verlange ich nicht. Ich bin eben bescheiden

*

Poirot, Hercule  (2) »Ich gehöre nicht zu Ihrer Polizei, Hastings. Man fordert mich als Privatdetektiv auf, den Fall zu übernehmen. Und ich lehne es ab.«

»Sie lehnen ab?«

»Freilich. Ich werde die Absage mit vollendeter Höflichkeit schreiben, mein Bedauern ausdrücken, meine Entschuldigungen, werde erklären, daß ich untröstlich bin - aber was wollen Sie eigentlich? Ich habe mich in den Ruhestand zurückgezogen . . . ich bin erledigt.«

»Sie sind nicht erledigt«, versicherte ich warm.

»Da spricht der gute Freund. Und nebenbei haben Sie recht. Die grauen Zellen arbeiten noch in alter Frische; die Arbeitsweise ist noch nicht veraltet, nicht überholt. Aber ich habe mich in den Ruhestand zurückgezogen, mein Freund. Aus - ein für allemal! Ich bin kein Bühnenstar, der dem ihn vergötternden Publikum ein Dutzend Abschiedsvorstellungen gibt. In voller Großmut sage ich: Man muß den jungen Leuten die Bahn frei machen. Vielleicht erweisen sie sich als ganz brauchbar - jedenfalls reicht ihr Können für diese fraglos langweilige Affäre des Innenministeriums.«

»Aber, Poirot, bedenken Sie doch das Kompliment, das diese Aufforderung in sich birgt.«

»Pah, über Komplimente bin ich erhaben! Der Innenminister, ein Mann mit gesundem Menschenverstand, sagt sich, wenn er mich vor den Wagen spannen kann, daß der Erfolg gewiß ist. Leider aber widerfährt dem Herrn Minister das Pech, daß Hercule Poirot seinen letzten Fall geklärt hat.«

*

Poirot, Hercule  (3) »Mademoiselle, Sie sind eine höfliche kleine Lügnerin. Wie konnte ich es vergessen - Sie sind ja noch ein Kind! Unmöglich, daß Sie von mir gehört haben. Der Ruhm vergeht so schnell. Mein Freund wird Ihnen die nötigen Erläuterungen geben.«

Nick richtete den Blick erwartungsvoll auf mich, und ich räusperte mich befangen. »Monsieur Poirot ist ... war ... ein großer Detektiv«, erklärte ich.

»Ah, mein Freund!« rief Poirot. »Wissen Sie nicht mehr zu sagen? Sagen Sie Mademoiselle doch, daß ich ein einzigartiger Detektiv bin, unübertroffen, der bedeutendste, der jemals gelebt hat!«

»Das erübrigt sich jetzt«, meinte ich eisig. »Sie haben es ihr bereits selbst gesagt.«

»Mais oui. Aber mir wäre es lieber gewesen, die Bescheidenheit wahren zu können. Man soll sich nicht selber loben.«

*

Poirot, Hercule  (4)  Poirot betrachtete mich und seufzte schwer. »Wenn nur . . . wenn nur Ihr Scheitel in der Mitte säße statt an der Seite! Hastings, mein Sohn, Sie ahnen ja nicht, welches Ebenmaß diese Haartracht Ihrer Erscheinung geben würde. Und Ihr Schnurrbart! Wenn Sie einen Schnurrbart haben müssen, dann gefälligst einen richtigen - einen Bart von der Schönheit des meinigen.«

Einen gelinden Schauder bei dieser Vorstellung unterdrückend, nahm ich den Brief aus Poirots Hand und verließ das Zimmer.

*

Poirot, Hercule  (5)  »Sehen Sie, Hastings, beim Denken können Sie mir nicht beistehen. Und ich werde nichts anderes tun als denken.«

Ich schüttelte energisch den Kopf. »Vielleicht wollen Sie doch späterhin den einen oder anderen Punkt mit mir erörtern.«

»Gut, gut, ich füge mich dem ehrlichen Freund. Dann setzen Sie sich bitte aber wenigstens in jenen bequemen Armsessel.«

Auf diesen Vorschlag ging ich ein. Allmählich begann das Zimmer zu verschwimmen und zu versinken. Das letzte, was in meinem Gedächtnis haftenblieb, war Poirot, wie er sorgfältig die zerknüllten Bogen vom Fußboden aufhob und dem Papierkorb anvertraute. Dann muß ich in tiefen Schlaf gesunken sein.

Es war heller Tag, als ich erwachte.

Poirot saß noch auf demselben Platz, noch in derselben Haltung. Doch in seinen Augen glimmte jener katzenartige grüne Schimmer, den ich so gut kannte.

Steif und unbeholfen rang ich mich in meinem Sessel zu einer aufrechten Stellung empor. Zeitlebens hatte ich Schlafen in einem Sessel verabscheut, jetzt jedoch erwies es sich insofern von Nutzen, als ich nicht in dem behaglichen Zustand träger Benommenheit und Schlaftrunkenheit erwachte. Vielmehr be­gann der Verstand sofort genauso rührig zu arbeiten wie vor vielen Stunden, ehe ich in Schlaf versank.

»Poirot«, jubelte ich, »Ihr Nachdenken hat gute Früchte getragen!«

Er nickte, lehnte sich dann vornüber und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte.

*

Poirot, Hercule  (6) »Weiß Gott, ich bin hart dafür gezüchtigt worden, daß ich eine zu hohe Meinung von mir hatte! Ja, gezüchtigt! Ich, Hercule Poirot, war meiner zu sicher.«

»Nein, nein«, unterbrach ich seine Selbstvorwürfe.

»Aber wer konnte eine derartige beispiellose Kühnheit ahnen? Ich glaubte alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen .getroffen zuhaben; ich hatte den Mörder gewarnt...«

»Gewarnt? Den Mörder?«

»Allerdings. Ich hatte die Aufmerksamkeit auf mich gelenkt und ihn deutlich merken lassen, daß ich irgendwen verdächtigte. Nach meiner Meinung wurde es dadurch für ihn zu gefährlich, seinen Mordversuch zu wiederholen. Rings um Mademoiselle hatte ich einen Kordon gezogen, und er schlüpfte hindurch! Beinahe unter unseren Augen schlüpfte er frech und dreist hindurch! Uns allen und all unserer Wachsamkeit zum Trotz erreichte er sein Ziel!«

»Er erreichte es nicht«, erinnerte ich ihn.

»Pah, das ist reiner Zufall! Von meinem Standpunkt aus ist das kein Unterschied. Es hat ein Menschenleben gekostet, Hastings - wessen Leben, ist unwesentlich.«

*

Poirot, Hercule  (7)  »Wenn Sie wüßten, Hastings, welche Vorwürfe ich mir mache! Ich, Hercule Poirot, befand mich in Rufweite und verhinderte das Verbrechen nicht!«

»Niemand hätte es verhindern können.«

»Sie sprechen ohne Überlegung, mon ami. Kein Durchschnittsmensch hätte es verhindern können - aber zu weichern anderen Zweck lebt Hercule Poirot, als fertigzubringen, was der Durchschnittsmensch nicht vermag?«

»Natürlich, wenn Sie es so auslegen . . .«

»Ja, ich bin niedergeschlagen - vollkommen gedemütigt.«

Mir schoß es durch den Sinn, .daß Poirots Demütigung merkwürdig dem glich, was man sonst als Dünkel zu bezeichnen pflegt.

*

Poirot, Hercule  (8)  »Und jetzt gibt's wiederum Morde?« scherzte Japp.

»Ja - wiederum Morde.«

»Sie müssen es nicht tragisch nehmen, alter Kampfhahn, selbst wenn Sie Ihren Weg nicht klar sehen. Meinen Sie, Sie könnten zeitlebens den Erfolg buchen, der Ihnen bisher stets beschieden war? Wir werden alle einmal alt und müssen dem Nachwuchs den Platz räumen.«

»Und dennoch ist es der alte Hund, der alle Schliche kennt«, murmelte Poirot vor sich hin. »Er ist gewitzt; er verliert die Witterung nicht.«

»Gut - wir reden aber doch von menschlichen Wesen und nicht von Hunden.«

»Besteht da soich ein großer Unterschied?«

»Es hängt davon ab, wie Sie die Dinge ansehen. Aber Sie sind ein gefährlicher Bursche, sind es immer gewesen. Stimmt's, Hauptmann Hastings? Er sieht auch noch genau wie früher aus; vielleicht ist das Haar auf dem Kopf ein bißchen dünner geworden, aber das Gestrüpp im Gesicht ist voller denn je.«

»Eh?« sagte Poirot. »Was ist das?«

»Er beglückwünscht Sie zu Ihrem Schnurrbart«, bemerkte ich schmunzelnd.

»Ja, der ist üppig«, bestätigte Poirot und streichelte seine Männerzierde wohlgefällig.

*

Poirot, Hercule  (9)  »Mon ami, ergänzte Poirot, »ich liebe es, alles in meine Nachforschungen einzubeziehen. Hercule Pairot ist ein tüchtiger Hund. Der tüchtige Hund aber folgt der Fährte, und wenn bedauerlicherweise die Fährte fehlt, hebt er die Nase, schnuppert und sucht. So macht es auch Hercule Poirot. Und oft findet er etwas.«

»Unser Beruf ist nicht fein«, meinte der Inspektor. »Nein, durchaus nicht. Und Ihrer, Mr. Poirot, ist noch schlimmer als der meinige - weil er nicht amtlich ist, verstehen Sie? Weil Sie sich daher viel häufiger auf hinterlistige Art einschleichen müssen.«

»Ich habe mich noch nie einer Verkleidung bedient, Japp.«

»Das können Sie auch gar nicht. Sie sind einzigartig. Wer Sie einmal sah, wird Sie nie vergessen.« Und als Poirot ihn ziemlich mißtrauisch anblickte, fuhr Inspektor Japp lachend fort: »Nichts für ungut, alter Freund. Ich scherze natürlich . . . Eine Flasche Portwein jetzt?«

*

Poirot, Hercule (10) Mein Freund schlug sich mit beiden Händen an die Stirn. »Bin ich Unseliger denn blind gewesen?« ächzte er.

»Mein Gott, Poirot, was gibt es denn?«

»Verwickelt, habe ich Tor gesagt; verwickelt? Nein, aber äußerste Einfachheit! Und ich Elender sah nichts . . . nichts.«

»Poirot, klären Sie mich doch auf.«

»Warten Sie, warten Sie - jetzt nur nicht viel sprechen. Ich muß meine Gedanken ordnen, muß sie wieder ordnen im Licht dieser erstaunlichen Entdeckung.«

Und seine Liste mit den Fragen zur Hand, studierte er sie stumm, wobei seine Lippen sich eifrig bewegten. Ein- oder zweimal nickte er nachdrücklich mit dem Kopf. Dann legte er die Bogen nieder, lehnte sich in den Sessel zurück und schloß die Augen, so daß ich schließlich annahm, er sei eingeschlafen.

Nach einem Weilchen aber schlug er mit einem tiefen Seufzer die Lider auf. »Jawohl, nun fügt sich jede Kleinigkeit in das Gesamtbild ein. Auch alle die Dinge, die mich bislang verwirrten und mir ein wenig unnatürlich erschienen.«

»Meinen Sie, daß Sie alles wissen?«

»Nahezu alles, Hastings. In mancher Hinsicht haben meine Schlußfolgerungen genau ins Schwarze getroffen; in anderer wieder war ich trostlos weit von der Wahrheit entfernt. Ich werde heute ein Telegramm mit zwei Fragen nach London senden, doch die Antwort darauf habe ich schon jetzt. Hier nämlich!« Er tippte an seine Stirn. - Alles aus: Agatha Christie, Das Haus an der Düne. Bern u. München 1980 (zuerst 1931)

Poirot, Hercule (11)

Poirot, Hercule (12)  Es geht mich garnichts an, aber ich habe immer recht. - Hercule Poirot in: Agatha Christie, Wiedersehen mit Mts.Oliver. Bern u. München 1989 (zuerst 1956)

Poirot, Hercule (13)  »Wenn es jemals einen klaren Fall von Raubmord gegeben hat, so ist es dieser«, sagte Derek Kettering. »Arme Ruth! Diese verfluchten Rubine. Ich glaube, wegen dieser Steine sind schon früher Morde begangen worden.«

Poirot richtete sich plötzlich in seinem Sessel auf. Ein grünes Licht glühte in seinen Augen. Er sah in diesem Augenblick einer sauber geputzten, wohlgenährten Katze außerordentlich ähnlich.  - Agatha Christie, Der blaue Express. Bern und München 1990

Poirot, Hercule (14)  »Ja, was ich sagen wollte«, sagte Lenox zu ihrer Freundin, »Ich habe deinen Freund, den Detektiv, angerufen und ihn eingeladen, heute mittag in Nizza mit uns zu lunchen. Ich behauptete, du wolltest ihn sehen. Um meinetwillen hätte er sicher nicht zugesagt.«

»Hast du denn solche Sehnsucht nach ihm?«

»Offen gestanden, ja. Ich habe mein Herz an ihn verloren. Ich habe noch nie einen Mann mit so schönen grünen Katzenaugen gesehen.«  - Agatha Christie, Der blaue Express. Bern und München 1990

 

Detektiv

 

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