oetik  Aristoteles verlangt in seiner "Ars poetica", daß das Ziel der Poeten darin liegen solle, uns von der Furcht und dem Mitleid zu heilen, da er sie als Quelle aller menschlicher Übel betrachtete.  - (just)

Poetik (2)

Poetik (3)

Poetik (4)   Widmet sich die Dichtung, die nur Überschreitung sein will, nicht bloß der Utopie, die von der Gesellschaft in dem Augenblick außer acht gelassen wird, in dem sie ihre stets drängenden Entscheidungen fällt?

Oder wird die vorgebliche Umwertung augenblicklich geltender Werte und gängiger Meinungen von vornherein einfacher und unbekümmerter nur als spielerisches Tun bejaht und praktiziert, was sicher seinen Sinn und Wert hat, aber natürlich in Grenzen? Diese Poetik des Spiels hat zumindest eine Zeitlang Roland Barthes angeregt: Als er - in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France - bemerkte, daß der »Diskurs«, d.h., unsere Sprache im allgemeinen, in den Situationen des Handelns »auf fatale Weise in ihrer Macht befangen ist«, forderte er, man solle geeignete »Mittel« finden, »um diese Macht zunichte zu machen, sich von ihr zu losen oder sie zumindest abzuschwächen (...)«, und zwar durch Fragmentierung, durch Abschweifungen oder, »um es mit einem kostbaren, doppelsinnigen Wort auszudrücken«, wie er hinzusetzte: durch »excursion«1. »Mir wäre es also lieb«, schloß Barthes nicht ohne Traurigkeit, »wenn Sprechen und Hören in ihrer Verflochtenheit dem Kommen und Gehen eines Kindes im Umkreis seiner Mutter ähnelten: es entfernt sich und kehrt dann zu ihr zurück, um ihr einen Kieselstein, einen Wollfaden zu bringen, wodurch es um einen friedlichen Mittelpunkt herum einen ganzen Spiel-Raum entwirft (...)«. Und in der Tat verrät dieses Spiel im Sinne von Roland Barthes viele aus dem Herzen und der Erinnerung aufsteigende Gefühle und Wünsche, und allein daran läßt sich erkennen, daß sich das Schreiben in diesem Fall vergeblich der Forderung verschließt, die Wahrheit zu sagen - es ist das Hervorbrechen von etwas sehr Realem, das folglich mehr oder weniger klar und letztlich wahr ausgedrückt werden kann.

1 Doppelsinnig ist dieses Wort hier deshalb, weil zu der ursprünglichen Wortbedeutung — »Ausflug, Wanderung, Tour« — eine zweite hinzukommt: »Digression, Abschweifung«. Damit ergibt sich ein reizvoller Kontrast zwischen einem Bereich des Alltagslebens, einer Freizeitbeschäftigung und dem textbezogenen, hochintellektuellen Inhalt. Bonnefoy vernimmt darin auch die Nähe zu einem anderen Wort, einem für ihn sehr wichtigen: »errance«, dem suchenden Umherirren. (A. d. U.)

- Yves Bonnefoy, nach: Der Pfahl VII. München 1993

 

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