lotin
Porphyrios, selber ein Philosoph von hohen
Graden, beginnt die Biographie seines Lehrers Plotin,
des bedeutendsten Denkers aus dem dritten Jahrhundert nach Christus, mit dem
Satz: »Plotin, der Philosoph unserer Tage, glich einem Manne, der sich schämt,
im Leibe zu sein.« Anschließend gibt er Beispiele für diesen Abscheu vor der
körperlichen Existenz. Plotin habe niemals von seiner Herkunft, seinen
Eltern oder seiner Heimat erzählt. Auch seinen Geburtstag,
den Tag des Eingangs der Seele in den Leib,
habe er nicht verraten, damit man nicht etwa darauf komme, ein so bedauerliches
Ereignis auch noch zu feiern. Auch habe er es nie geduldet, daß man ein Bild
von ihm verfertige; die Schüler bringen deshalb den berühmtesten Maler der Zeit
heimlich in seine Vorlesungen, und der hält nach dem Gedächtnis die Züge des
Meisters fest. Aber die Verachtung des Leibes geht bei Plotin noch weiter. Er
lehnt es ab, gegen eine Darmkolik, die ihn heftig quält, mit Spülungen vorzugehen.
Überhaupt weigert er sich, bei Krankheiten Medikamente zu nehmen. Ja selbst
die anfangs gewohnten täglichen Massagen gibt er auf, worauf er noch kränker
wird. Auch im Essen ist er äußerst mäßig; manchmal vergißt er sogar das Stück
Brot, das er sich bereitgelegt hat, was sich dann freilich durch Schlaflosigkeit
rächt. Das Ergebnis dieser Verachtung des Leibes ist, daß Plotin dahinzusiechen
beginnt und daß ihm, als er älter wird, die Stimme versagt und Hände und Füße
eitern. Das bringt ihn übrigens in Schwierigkeiten im Umgang mit den Schülern;
denn er hat die Gewohnheit, sie zur Begrüßung zu umarmen. Porphyrios
berichtet, die Anhänger hätten sich deshalb allmählich zurückgezogen. -
Wilhelm Weischedel, die philosophische Hintertreppe. München 1986 (dtv 1119,
zuerst 1966)
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