hotographie Ich ziehe es stets vor, im Atelier zu arbeiten. Es isoliert die Menschen von ihrer Umwelt. Sie werden gewissermaßen . . . symbolisch für sich selbst. Ich habe oft das Gefühl, daß die Leute genauso zu mir kommen, um fotografiert zu werden, wie sie zum Arzt oder zur Wahrsagerin gehen würden - nämlich um etwas über ihr Befinden zu erfahren.
Sie sind also auf mich angewiesen. Ich muß auf sie eingehen. Andernfalls
gibt es nichts zu fotografieren. Die Konzentration muß von mir ausgehen und
sich auf die Leute übertragen. Manchmal wirkt sich das so stark aus, daß die
Geräusche im Atelier nicht mehr wahrgenommen werden.
Die Zeit steht still. Einen Moment lang herrscht zwischen
uns größte Vertraulichkeit. Aber es ist keine erworbene Vertraulichkeit. Sie
hat keine Vergangenheit. . . keine Zukunft. Am Ende der Sitzung - wenn die Aufnahme
gemacht ist - bleibt nur die Fotografie übrig ... die Fotografie und eine gewisse
Verlegenheit. Die Leute sehen weg . . . und ich kenne sie nicht. Ich habe kaum
gehört, was sie gesagt haben. Wenn ich ihnen eine Woche später irgendwo in einem
Zimmer begegne, rechne ich nicht damit, daß sie mich wiedererkennen. Weil ich
das Gefühl habe, nicht wirklich dabeigewesen zu sein. Das heißt, der Teil von
mir, der dabei war ... ist jetzt in der Fotografie. Und die Fotografien haben
für mich eine Realität, wie sie die Menschen nicht haben. Nur durch die Fotografien
kenne ich sie. Vielleicht liegt das in der Natur der fotografischen Tätigkeit.
Ich bin nie wirklich in die Sache verwickelt. Ich mache keine echte Erfahrung.
Es ist alles eine Frage des Wiedererkennens. - Richard Avedon, nach: Susan
Sontag, Über Fotografie. Frankfurt am Main 2003 (Fischer-Tb. 3022, zuerst 1977)
Photographie (2) Im Frühling 1921 wurden in Prag zwei vor kurzer Zeit im Ausland erfundene Lichtbild-Automaten aufgestellt, welche auf einem Papierbogen - ich glaube - sechzehn oder noch mehr verschiedene Gesichtsausdrucke der photographierten Person festhielten.
Als ich mit einer solchen Serie von Bildern zu Doktor Kafka kam, sagte ich gutgelaunt: »Man kann sich für ein paar Kronen von den verschiedensten Seiten photographieren lassen. Der Apparat ist das mechanisierte Erkenne-dich-selbst.«
»Sie wollen sagen: Verkenne dich selbst!« meinte darauf Doktor Kafka mit einem feinen Lächeln.
Ich protestierte: »Wieso? Die Photographie lügt doch nicht!«
»Wer sagt Ihnen das?« Doktor Kafka neigte den Kopf zur Schulter: »Die Photographie
fesselt den Blick an die Oberfläche. Damit vernebelt sie gewöhnlich das verborgene
Wesen, das nur wie ein Licht- und Schattenhauch durch die Züge der Dinge hindurchschimmert.
Dem kann man mit den schärfsten Linsen allein nicht beikommen. Man muß sich
da schon mit dem Gefühl vortasten . . . Dieser Lichtbild-Automat ist kein multipliziertes
Menschenauge, sondern nur ein phantastisch vereinfachter Fliegenblick.« -
Gustav Janouch »Gespräche mit Kafka«, nach: Susan Sontag, Über Fotografie. Frankfurt
am Main 2003 (Fischer-Tb. 3022, zuerst 1977)
Photographie (3) »Da schau: Bin ich vielleicht kein nettes
Kind gewesen?« Sie hatte dicke schwarze Zöpfe, fast bis zu den Knien, und stand
im karierten Kleid vor einer dämmerigen Wand. Das Bild hatte der Fotograf
Werkmeister gemacht, der mit seiner Samtjacke und der Lavallière-Krawatte wie
ein Künstler ausgesehen hatte. Fotograf Werkmeister
war hinter ein schwarzes Tuch gekrochen, sein Fotografenkasten hatte sie großäugig
angeschaut, und eine bleiche Hand war aus dem schwarzen Tuch herausgekrochen,
um eine Gummiblase an einem Schlauch zu fassen und zu
drücken; die Gummiblase war mit Leukoplast geflickt gewesen. Und einen Sommer
lang war ihr Bild im Fotografenkasten ausgehängt gewesen, nicht weit von der
Wirtschaft ›Zum Alten Geld‹. Doch wenn sie im karierten Kleid durch Freising
ging, schrien die Kinder hinter ihr: »Bei der sieht mer da Orsch!« weshalb ihr
dann die Mutter den Rock länger gemacht hatte. - Hermann Lenz, Neue
Zeit. Frankfurt am Main 1979 (st 505, zuerst 1975)
Photographie (4) Leichen werden
zur Evidenthaltung des Vorganges, sowie zu Agnoszierungszwecken photographiert.
Handelt es sich um die Leiche einer ermordeten Person, die bekannt ist, so muß
bei deren Aufnahme zunächst lediglich darauf gesehen werden, daß ein möglichst
getreues Bild der natürlichen Lage des Körpers, seiner Verletzungen und seiner
örtlichen Umgebung festgehalten wird. Diese Aufgabe wird sich nicht immer mit
einer einzigen Aufnahme, sondern zuweilen nur mit einer Serie von solchen erfüllen
lassen. Diese Serie wird sich vergrößern, wenn aus irgendwelchem Grunde Veränderungen
an der Leiche oder ihrer Umgebung vorgenommen worden sind. In diesem Falle sind
zunächst die Aufnahmen so durchzuführen, daß sie Leiche und Umgebung in der
Verfassung wiedergeben, wie der Polizeiphotograph sie angetroffen hat. Nach
Anhörung der Personen, die die eventuellen Veränderungen der Situation vorgenommen
haben oder von der ursprünglichen Sachlage Kenntnis haben, ist diese wieder
herzustellen und die Aufnahme zu wiederholen. - (
net
)
Photographie (5) Unter den vielen Möglichkeiten, das
Nichts zu bekämpfen, ist eine der besten, Photographien
zu machen, eine Tätigkeit, in der die Kinder frühzeitig unterwiesen werden sollten,
da sie Disziplin, Sinn für Schönheit, ein gutes Auge und eine sichere Hand erfordert.
Es handelt sich nicht darum, wie irgendein Reporter der Lüge aufzulauern und
die alberne Silhouette der bedeutenden Persönlichkeit einzufangen, die Downing
Street Nr. 10 verläßt, aber auf jeden Fall hat man, wenn man mit der Kamera
losgeht, geradezu die Pflicht, aufmerksam zu sein, sich nicht dieses jähe und
köstliche Auftreffen eines Sonnenstrahls auf einen alten Stein entgehen zu lassen,
oder das kleine Mädchen, das mit fliegenden Zöpfen, ein Brot und eine Flasche
Milch in den Händen, nach Hause eilt. -
Julio Cortázar, Südliche Autobahn. Die Erzählungen Band 2. Frankfurt am
Main 1998
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