hilanthropie  Yvonne Leclerc ist wie ein kränkelnder Heranwachsender. Sie beklagt sich, greift zu Drogen, was sie nicht hindert, sehr spät schlafen zu gehen und sehr früh aufzustehen. Ich glaube, daß sie sehr lange leben wird, eine verkniffene Alte, nicht sehr gutherzig und sehr rührig. Sie sagte, sie würde sich gern um philanthropische Einrichtungen kümmern, wenn sie die Armen nicht so anwiderten: «Sie sind nicht besser als wir, sie sind verlogen, demütig und grob. Im übrigen habe ich nicht die Kraft, nach draußen zu wirken.» Sie würde sich gerne zu einer großen Frömmigkeit bekehren, denn die Rituale des Gottesdienstes ziehen sie an: «Ah! Diese Kinderstimmen sind köstlich!» Aber der Geruch der Kirchen macht sie krank. - (jac)

 Philanthropie (2)   Seit wann denn der Ellenberger der Fürsorge für entlassene Sträflinge beigetreten sei?

»Fürsorge?« Die Fürsorge könne ihm gestohlen werden. Er brauche billige Arbeitskräfte, voilä tout. Und daß er die Burschen anständig behandle, das gehöre zum Geschäft, sonst würden sie ihm wieder drauslaufen. Er, der Ellenberger, sei zuviel in der Welt herumgekommen, die braven Leute brächten ihn zum Kotzen, aber die schwarzen Schafe, wie man so schön sage, die sorgten für Abwechslung. Von einem Tag auf den andern könne man in der schönsten Kriminalgeschichte drinnen stecken, an einem Mordfall beteiligt sein, par exemple, und dann werde es spaßig. - Friedrich Glauser, Wachtmeister Studer. In: F. G.: Kriminalromane. Berlin 1990 (zuerst ca. 1936)

 Philanthropie (3)  Die Philanthropen verderben alles. Was füi Kanaillen! Das Bagno, die Gefängnisse und die Hospitäler, all das ist jetzt dumm wie ein Seminar. Zum erstenmal habe ich zusammen mit dem armen Vater Parain in der hiesigen Irrenanstalt Verrückte gesehen. In den Zellen saßen ein Dutzend Frauen, in der Mitte des Körpers angebunden, nackt bis zu den Hüften, die Haare aufgelöst, schrien und heulten und zerkratzten sie sich mit ihren Nägeln die Gesichter. Ich war damals sechs oder sieben Jahre alt. Es ist gut, wenn man früh solche Eindrücke hat, sie machen männlich. Was für seltsame Erinnerungen ich auf diesem Gebiet habe! Der Sektionssaal des Krankenhauses lag nach unserem Garten zu. Wie oft sind meine Schwester und ich an dem Spalier hochgeklettert und haben, zwischen den Weinreben hängend, neugierig die zur Schau gestellten Leichen betrachtet! Die Sonne beschien sie. Die gleichen Fliegen, die uns und die Blumen umkreisten, ließen sich dort nieder, kamen zurück und summten um uns herum! Wie sehr habe ich an all das gedacht, als ich zwei Nächte die Totenwache bei ihr hielt, diesem armen und lieben schönen Mädchen! Ich sehe noch meinen Vater, wie er beim Sezieren den Kopf hebt und uns befiehlt, uns wegzuscheren. Auch er jetzt eine Leiche. - (flb)

 

Gefühle, moralische Liebe

 

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Menschenliebe