Pfingsten    Da hatte ich Nachtwache. Drei Einlieferungen mit Commotio, die mußte ich alle 15 Minuten pulsen. In der Abteilung von Erika starb die Oma, die 8 Wochen dort gelegen hatte. Ich kannte die noch. Ein junger Mann wurde Freitag eingeliefert: Breigesicht, war in die Windschutzscheibe gefallen, lebte noch einen Tag. Seiner Braut auf dem Beifahrersitz war nichts geschehen. Das Personal hat für die Braut das Gesicht des Verunglückten ein bißchen zurechtgemacht, geknetet, zusammengezupft, provisorisch genäht. Der Bestatter, der dafür eigentlich zuständig war, hatte Pfingsten Urlaub. Die Braut sollte sich nicht erschrecken. Es war ein ziemlich gelungenes Gesicht, ob es ähnlich war, wissen wir nicht, da wir den Mann ja nicht kannten. Die Braut, immer noch nicht zufrieden.

Riesenbaby, 2 m groß, lag oben in seinem Bett, Bleivergiftung, sämtliche Haare ausgefallen. Eine Uberausgabe eines Babys, haarlos und schwer zu tragen. Baby deshalb, weil der Patient immer in Hockstellung blieb. Auch für den hat die Welt keinen Platz. Irn Bett daneben Osteomyelitis. Im Bett daneben die Niere. Neben der Niere sammelte sich Eiter in der Drainage-Ente. Eine Taubstumme, die mit ihrem Mann zu einem Taubstummen-Karneval geht (oder wenigstens Tanzfest unter Taubstummen), die beiden springen im letzten Moment auf den Zug. Sie gerät unter den Zug, wird an der Hüfte abgefahren. Hand auch abgeschnitten. Sonntagsgemüt. Überstand alles. Kurz vor der Operation geht sie zum Anstaltsfrisör: »falls ich sterbe«. Sie starb aber nicht. Später 5 weitere Operationen. Anus wird unterhalb des Brustbeins angesetzt.

Sonntag, kurze Aushilfe auf der Männerstation. Wir hatten schon alles gemacht, Betten gemacht usf., kein Krisenfall. Da schluckte einer den Magenschlauch.

Neben 2 Frauen, mittlere Fälle, stirbt eine Frau. Nach ihr sehen und dabei harmlos weitersprechen. Während wir die eine zum Röntgen transportieren, die andere zum Labor, haben wir die Frau auf den Flur geschoben. Von zwei anderen auf der Männerabteilung wußte ich auch, daß sie sterben würden. Einer der Todgeweihten pflegte einen Hysteriker, der bestimmt nicht stirbt.

Opa Erdmann, 97 Jahre alt. Er hat das Krankenhaus praktisch gepachtet. Lutscht pastellfarbene Bonbons. Die Restscheibchen, er lutscht nie zu Ende, klebt er an sein Nachthemd. Er konnte sich nicht überwinden, diese Reststückchen zu vernichten, indem er sie auflutscht oder entfernt. War nicht zu überzeugen. Gegen 2,2, Uhr stirbt die zuckerkranke Omi aus dem Siebenge-birgc. Die Krankenschwestern freuen sich über die Tote, die nur noch eine Last war. Selbstmörderin, die aus dem Fenster springt, alle Glieder zerbrochen, wegen des Schocks katheterisiert. Man gibt sie auf.

Danach schon wieder Männerstation, Herr Steiger. Nur noch Haut und Knochen. Weil er ja seit ca. 4 Wochen nur noch verhungert. An dem lernte ich spritzen. Er wollte die Bestätigung erzwingen, daß er Krebs hat. Quält die Schwestern, die keine Auskunft geben dürfen. Wird, wenn er so weitermacht, nicht im richtigen Rhythmus sterben.

Pfingstmontag abends holt mich Dieter ab. Ich wollte sofort auf sein Zimmer gehen, mich bcharken lassen, vor allem ruhebedürftig. Nein, er muß mit mir in das »Sahara«. In dem überfüllten Lokal sitzen wir einander gegenüber, ohne Hautkontakt, immer der Tisch zwischen uns, Lärm, schlückchenweise aus dem Glas, aus dem eine Apfelsinenschale und eine Plastikgiraffe herausstehn, unten drunter ein Gemisch, kalte Flüssigkeit einnehmen, das nimmt kein Ende. Ich war müde, hatte keine Lust, mich auf der Tanzfläche herumschütteln zu lassen. Ich habe meinen Dienst hinter mir. Dieter: Du wirkst verkrampft. Ich: Und wenn? Dieter: Was willst du denn? Ich: Was ich will, weiß ich nicht genau. Aber ich weiß, ich muß ins Bett. Dieter: Du bist zu direkt. Ich: Das ist doch keine Krankheit. Dieter: Ich mag diese direkte Tour nicht. Es ist eine Sache der Stimmung. Ich: Dann komme doch gefälligst in Stimmung. Dieter: Das hängt nicht von mir ab, sondern von dir. Ich: Wenn schon, von beiden. Dieter: Was soll das Gezeter? Ich: Das ist kein Gezeter, sondern du hast mich gefragt, was ich will. Dieter: Und du sagst nicht, was du willst. Ich: Ich habe gesagt, was ich will. Dieter: Du hast gesagt, du weißt nicht, Was du willst, und du weißt es auch nicht, wetten? Ich: Wetten.

Ich habe gesagt, was ich will. Dieter: Aber auf die direkte Tour, die ich nicht mag. Ich: Dann sage ich es eben auf die indirekte Weise. Dieter: Du sagst es ja gar nicht indirekt, und wenn ich es erst bestellen muß, dann ist es schon wieder direkt. Ich sehe es in deinen Augen. Ich: Ich möchte mal wissen, was du in meinen Augen siehst?

Es war trostlos. Wäre ich im Dienst gewesen, hatte ich auf Grund der Schulung, die wir erhalten haben, einen Ausweg gewußt. Man muß unterscheiden zwischen der »Kindhaltung«, zwischen »Adult« (= erwachsen) und zwischen »Trotz«. Die Kindhaltung und die Trotzhaltung kann man durch »Adult« beantworten, also z.B. sagen: »Seien Sie vernünftig, ich bin müde, machen wir

die Sache einfacher.« Also die Situation erklären. Aber ich konnte Dieter nicht siezen, er war nicht müde (= »kindhaft«), und wenn ich gesagt hätte, machen wir die Sache einfacher, hätte er das wieder als »zu direkt« empfunden. Es war keine Situation, auf die unsere Schulung paßte. Ich schubste deshalb das Glas um, sagte entschuldige bitte, ich muß austreten, ging aber nicht zur Toilette, sondern verließ das Lokal. In meinem Zimmer angelangt, schlief ich sofort ein. - (klu)

Pfingsten (2)

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