Pferdegebiß   Häßlich konnte man Lady Flora keineswegs nennen, aber für jede andere Dame wäre ihr Aussehen gleichwohl ein hartes Los gewesen. Sie war eine Riesin, größer als irgend eine, wie ich sie als Kind auf dem Jahrmarkt gesehen hatte. Wohin sie kam, sie ragte stets kopfhoch über die Männer, mit denen sie sprach. Hüften und Brust waren entsprechend breit. Ihre Hände und Füße, an sich schön, hatten das Format, daß sie sich mit den Marmorengeln in meiner Privatkapelle messen konnten, und ihre weißen Zähne glichen denen des treuen Apfelschimmels, auf dessen Rücken ich in meiner Jugend manche glückliche Stunde verbracht habe. Nase, Kinnlade, Ohren, Busen, alles hatte bei dieser Dame die Dimensionen einer Göttin. Sie besaß reiches, rotes Haar; ihre herrlich geschwungenen Brauen aber und ihre dichten Wimpern waren fast farblos. Ihre frische, weiße Haut zeigte leichte Sommersprossen, und ihre Stimme war voll, klar und harmonisch.

Als ob sie zeigen wollte, daß sie unter allen Umständen zu ihrer Erscheinung und ihrem Wert stehe, hielt sich Lady Flora immer außerordentlich gerade und trug den Kopf hoch. Ihre Kleidung war sehr kostbar, aber streng in Farbe und Stil und nie mit einem Seidenband, einer Schleife oder anderm Putz versehen, womit unsere Damen sonst zeigen, nicht nur daß sie bezaubernd sind, sondern auch, daß sie es sein möchten. Ihr einziger Schmuck bestand in einer Perlenkette, einem Familienerbstück, von dem es hieß, daß im britischen Kronschatz kein Seitenstück dazu zu finden sei.    - Tania Blixen, Widerhall. Letzte Erzählungen. München 1968

 

Pferd Gebiß

 

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