Nahe den Mauern lag ein weit sich dehnendes Blachfeld, |
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Pfeil (2) Eines Tages schoß
der Sonnengott frühmorgens einen Pfeil vom Himmel herab. Er fiel an dem Orte
Tetzcalco nieder, wo gegenwärtig eine Stadt liegt. Aus dem Loch, das der Pfeil
gemacht hatte, kamen ein Mann und eine Frau hervor; der Mann hieß »Kopf« oder
»Sperber«, die Frau »Pflanzenhaar«. Des Mannes Körper war nur von den Achselhöhlen
aufwärts vorhanden, der Körper der Frau ebenso, und um Kinder zu erzeugen steckte
der Mann seine Zunge in den Mund der Frau. Wie Elstern
oder Sperlinge bewegten sie sich nur hüpfend vorwärts. Der Mann machte sich
nun einen Bogen und Pfeile, mit denen er nach den Vögeln schoß, die in der Luft
flogen, und wenn er einmal zufällig den Vogel, nach dem er schoß, nicht traf,
so fiel der Pfeil auf ein Kaninchen oder anderes Wild, das sie dann roh aßen.
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Pfeil (3)
Pfeil (4) »Kurz und gut, die Moral von der Geschieht ist, daß wenn man einen Dolch in einen Pfeil verwandeln kann, man einen Pfeil auch in einen Dolch verwandeln kann.«
Jetzt sahen ihn alle an; er aber fuhr auf die gleiche beiläufige und unbewußte Weise fort:
»Natürlich haben wir uns alle gewundert und nach Kräften damit abgeplagt, wer den Pfeil durchs Fenster geschossen hat und ob er von fernher kam und so weiter. Die Wahrheit aber ist, daß niemand den Pfeil abgeschossen hat. Und er kam auch nie durchs Fenster.«
»Wie ist er denn dann gekommen ?« fragte der dunkle Anwalt mit eher mürrischem Gesicht.
»Ich nehme an, daß ihn jemand mitgebracht hat«, sagte Father Brown;
»es wäre nicht schwierig, ihn bei sich zu tragen oder ihn an sich zu verstecken.
Jemand hatte ihn in der Hand, als er neben Merton in Mertons eigenem Zimmer
stand. Jemand stach ihn wie einen Dolch in Mertons
Kehle und hatte dann den höchst intelligenten Einfall,
das Ganze so anzuordnen, daß wir alle sofort überzeugt waren, das Ding
sei durchs Fenster hereingeflogen wie ein Vogel.« -
Gilbert Keith Chesterton, Father Browns Ungläubigkeit. Zürich 1991
Pfeil (5) Unmittelbar
neben mir sah ich einen Engel in vollkommener körperlicher
Gestalt. Der Engel war eher klein als groß, sehr schön, und sein Antlitz leuchtete
in solchem Glanz, daß er zu jenen Engeln gehören mußte, die ganz vom Feuer göttlicher
Liebe durchleuchtet sind; es müssen jene sein, die man Seraphe
nennt. In der Hand des Engels sah ich einen langen goldenen Pfeil mit Feuer
an der Spitze. Es schien mir, als stieße er ihn mehrmals in mein Herz, ich fühlte,
wie das Eisen mein Innerstes durchdrang, und als er ihn herauszog, war mir,
als nähme er mein Herz mit, und ich blieb erfüllt von flammender Liebe zu Gott.
Der Schmerz war so stark, daß ich klagend aufschrie.
Doch zugleich empfand ich eine so unendliche Süße,
daß ich dem Schmerz ewige Dauer wünschte. Es war nicht körperlicher, sondern
seelischer Schmerz, trotzdem er bis zu einem gewissen Grade auch auf den Körper
gewirkt hat; süßeste Liebkosung, die der Seele
von Gott werden kann. - Autobiographie der Therese von
Avila, nach Wikipedia
Pfeil (6)
Dem Bild des Angesichts gegenüber steht ein Engel; er betrachtet sein Gegenüber und hält in der Hand einen Pfeil, der auf das Herz der heiligen Theresia zielt.
Also schickt sich der Engel an, die Heilige damit zu treffen? Nein; kraft eines Paradoxes, das in der Welt der Figur ganz natürlich ist, hat der Engel die Heilige schon getroffen; genauer gesagt: die heilige Theresia hat Pfeil und Engel erschaffen, indem sie sich selbst in das Ziel des Pfeiles verwandelt hat. Und nun sind wir bei der entscheidenden Stelle dieses faszinierenden Antlitzes angelangt: bei seiner untätigen Tätigkeit, seiner an ein Wunder grenzenden Fähigkeit, seine eigene Abwesenheit zu erzeugen. Engel und Frau gehören also der FRAU mit dem Antlitz, wie uns die Bilder eines unauslotbaren Traumes gehören, der uns seihst enthält.
Durch die Erschaffung des Engels und des Pfeils in einer vergangenen Zeit, in der jedoch keine Zeitabschnitte zu unterscheiden sind, ist zu den vielen Geschichten, die man aufspüren kann, eine neue hinzugekommen. Der Prozeß der Abwesenheit ist erst dann erkennbar, wenn er schon abgelaufen ist, und dann ist es zu spät, um ihn kennenzulernen; es ist ein gleichzeitig lichter und grausamer, eleganter und sadistischer Prozeß: Der Pfeil ist aus Gold, also eine Waffe aus Licht, und bringt unheilbare, lichte Wunden bei; der Engel zielt auf das Herz: es soll >durchbohrt< und >erleuchtet< werden, wie es geschehen kann, wenn ein nicht menschliches Bild sich unrettbar verliebt. Die Tötung des Herzens ist zugleich die unaufhaltsame Besetzung des Mittelpunktes, die Schöpfung an einem psychologischen und symbolischen Ort, an dem der irdische Gebrauch des Antlitzes, der Hand und des Fußes abgeschafft wird. Aber all das ist, wie gesagt, nur möglich, weil die weibliche Figur, für die allmählich kein Name mehr taugt, sich selbst zur Zielscheibe gemacht hat.
Wenn aber der Engel dem Geist der heiligen Theresia entsprungen ist und somit
zum Prozeß ihres Ichverlustes gehört, kann er uns Auskunft geben über das, was
in jenem höchsten und unaus-lotbaren Moment geschehen ist; die >Frau<
hat ein Bild der Liebe ausgestrahlt, hat ihren ganzen Willen zur Verwandlung
zusammengenommen, um einen Ort der Liebe zu erschaffen, der als solcher imstande
ist, sie als Zielscheibe zu erblicken und ins Herz zu treffen. Also >träumt<
die Frau von dem Engel; da aber die Frau sich in einem Zustand der Abwesenheit
und Enthaltung befindet, dürfen wir annehmen, daß sie vom Traum gefangen bleibt
und in unendlicher Tiefe weiterträumt. Und wovon sollte sie träumen, wenn nicht
von sich selbst? Somit ist diese Figur Bild eines Traumes, den niemand anders
geträumt hat als die Figur selbst. - Giorgio Manganelli, ›Die Ekstase
der heiligen Theresa‹ von Gian Lorenzo Bernini. In: G. M., Manganelli furioso.
Handbuch für unnütze Leidenschaften. Berlin 1985
Pfeil (7) »Als Pilger nach den heiligen Plätzen erwerbe ich Verdienst. Aber da ist noch mehr. Höre auf etwas Wahres. Als unser gnadenreicher Herr noch ein Jüngling war und eine Lebensgefährtin suchte, meinten die Männer an seines Vaters Hof, daß er zu zart zur Heirat wäre. Du weißt das?«
Der Kurator nickte, neugierig, was nun folgen würde.
»So forderten sie die dreifache Kraftprobe gegen alle Bewerber. Bei der Bogenprobe zerbrach unser Herr den Bogen, den sie ihm gaben, und forderte einen, den keiner spannen könnte. Du weißt?«
»Es steht geschrieben. Ich hab' es gelesen.«
»Und jedes andere Ziel überschießend, flog der Pfeil immer weiter und weiter und außer Sicht. Endlich fiel er; und wo er die Erde berührte, da brach ein Wasserstrahl aus, der alsbald zum Flusse wurde. Und durch unseres Herrn Gnade und das Verdienst, das er erwarb, bevor er sich frei machte, erhielt der Fluß die Eigenschaft, jede Spur und jeden Flecken von Sünde abzuwaschen von dem, der in ihm badet.«
»So steht es geschrieben«, sagte traurig der Kurator.
Der Lama tat einen tiefen Atemzug. »Wo ist dieser Fluß, o Brunnen der Weisheit? Wo fiel der Pfeil?«
»Ach, mein Bruder, ich weiß es nicht.«
»O nein, du hast es wohl nur vergessen - das eine, das du mir nicht gesagt hast. Sicher, du mußt es wissen. Sieh, ich bin ein alter Mann! Ich frage dich - mein Haupt zwischen deinen Füßen - o Brunnen der Weisheit! Wir wissen, er spannte den Bogen! Wir wissen, der Pfeil fiel! Wir wissen, der Wasserstrahl sprang hervor! Wo also ist der Fluß? Mein Traum hieß mich ihn finden. So kam ich. Aber wo ist der Fluß?«
»Wenn ich es wüßte, denkst du, ich würde es nicht laut hinausrufen?«
»Durch ihn«, fuhr der Lama, ohne ihn zu beachten, fort, »erlangt man Befreiung vom Rad der Dinge. Der Fluß des Pfeils! Denke noch einmal nach! Vielleicht nur ein kleines Flüßchen, in der Hitze vertrocknet? - Aber der Heilige würde einen alten Mann nicht so täuschen.«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.«
Der Lama brachte sein tausend runzliges Gesicht wiederum auf Handbreite dem des Engländers nahe.
»Ich sehe, du weißt es nicht. Da du der Lehre nicht angehörst, ist dir dieses verborgen.«
»Ja! - Verborgen - verborgen.«
»Wir sind beide in Banden, du und ich, mein Bruder. Aber ich« - er erhob sich mit einem Schwung seiner weichen Hülle - »ich gehe, um mich frei zu machen. Komm mit!«
»Ich bin gebunden«, sagte der Kurator. »Aber wohin gehst du?«
»Erst nach Kashi, wohin sonst? Dort im Jaina-Tempel dieser Stadt werde ich einen von der reinen Lehre treffen. Auch er ist im geheimen ein Sucher, und von ihm kann ich möglicherweise lernen. Kann sein, daß er mit mir nach Buddh Gaya geht. Von da nördlich und westlich nach Kapilavastu, und dort will ich nach dem Flusse suchen. Nein, überall wohin ich gehe, will ich suchen - denn die Stelle, wo der Pfeil fiel, ist nicht bekannt.«
»Und wie willst du gehen? Es ist weit bis Delhi, und weiter noch bis Benares.«
»Auf der Heerstraße und mit den Zügen. Von Pathänkot, nachdem ich die Berge
verlassen hatte, kam ich hierher in einem Zug. Er fährt schnell.« -
Rudyard Kipling, Kim. Nach
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