Pfad  Der Pfad war jetzt schon ganz verschwunden. Die Eichen hatten ihn verschluckt.

Der Soldat ging in ihrem Schatten. Die Eichen standen eng, sie gaben einen angenehmen Schatten, aber er fühlte sich trotzdem so elend wie vorher. Er kam sich vor, wie auf dem Grunde einer engen, nach Fäulnis riechenden Schlucht. Dazwischen das  erbarmungslose dumpfe Tosen des Wasserfalls. Über die ganze Breite des Horizonts erstreckten sich unbeweglich die Eichen. In Brusthöhe waren die Stämme von kurzen, vertrockneten Zweigen umgeben, die den Soldaten am Mantel faßten und am Schwert und an seinem Umhangsack.

Ein Stoßgebet zu allen Göttern auf den Lippen, verließ der Soldat eilig das Eichengestrüpp und lief auf die Schutthalde zu, hinter der noch ein Felsen auftauchte. Er ging seitlich gebückt, denn der Sack war ihm von der Schulter gerutscht, und er hatte weder Zeit noch das Verlangen, ihn zurechtzurücken.

Den Fußpfad hatte er schon längst aus den Augen verloren.

Er hüpfte von Stein zu Stein, stolperte und fiel. Die Steine bröckelten ab und polterten in die Tiefe. Er setzte seinen Fuß in eine kleine Grube, wo soeben noch ein Stein gelegen hatte, aber auch diese Grube geriet in Bewegung, und er sprang verzweifelt weg. Seine Hände waren schon ganz zerkratzt, und auch die Beine waren schon ganz zerschunden.

Ein ätzender, saurer Schweiß trübte seinen Blick. Seine gewöhnliche Umsicht war verschwunden, und er konnte nicht weiter sehen als zehn Speerlängen. Seine Fortbewegung gelang ihm jetzt nur mehr dank der eingefleischten Gewohnheit alter Krieger, wie sie es bei dem Großen gelernt hatten: vorzugehen unter allen Umständen und mit allen Kräften.

Die Sonne schien nun endlich befriedigt zu sein durch die Unterwürfigkeit der Felsen und der Eichenstämme, es gefiel ihr auch offenbar die Lauterkeit und Beharrlichkeit des Soldaten. Und so verwandelte sie ihre graue und grausame Glut, die die Kräfte untergräbt wie Wasser den Stein, in weiche, violette Schatten. Der Soldat nahm einen Schluck Wasser aus seiner Feldflasche, faßte neuen Mut und rief:

»Beim Hund und bei der Gänsefeder, ich werde diesen verschwundenen Pfad noch finden!«

Da hörte er hinter einem Felsen, um den er gerade herumgehen mußte, einen Laut. Einen äußerst ungewöhnlichen und merkwürdigen Laut für diese Gegend. Es war ein zugleich summendes und pfeifendes Geräusch, wie es beim Diskuswerfen entsteht. Dem Soldaten war dieses Geräusch wohlbekannt. Den Diskus zu werfen, hatte er nicht nur als Spiel gelernt, sondern auch als Übung zur Treffsicherheit der Hand, zur Bewertung des Feindes mit Steinen.

Er preßte sich an den Felsen und horchte gespannt.

Das Geräusch wurde lauter und verstummte dann wieder.

Eine unheimliche Stille herrschte über den Felsen. Wieder irgend so ein Rätsel in dieser beklemmenden Ode.

Da war es dem Soldaten, als müßte er schreien, als müßte er in den Chor der anderen Soldaten einstimmen, wenn sie ein schweres Geschütz von der Stelle rückten oder wenn sie ein Kampfgeschrei anstimmten.

Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und ging um den Feisei herum. Was er sah, war eine Schutthalde, wie er schon mehrer überquert hatte. Er verspürte einen scharfen Windstoß. Dam wieder Stille. Da kamen ihm die Worte des alten Bauern über den Sohn Äols in den Sinn, und er fuhr zusammen. Der Gedanke hing über ihm wie eine böse Gewitterwolke. Er ließ sich auf dem Geröll nieder. Sein Atem ging tief und heiser.

Dann passierte er noch einen Felsen und überquerte noch ein Schutthalde. Den Felsen am Ende der Halde näherte er sich bt reits mit Bangen. Das Schwert hielt er griffbereit, und er flehte zu allen Göttern, im besonderen aber zu Äol. Vorsichtig blickte er zwischen den Felsen hervor und schärfte aus alter Gewohnheit an dem Stein sein Schwert.

Und plötzlich war das Geräusch wieder da. Bloß war es diesmal nicht das Geräusch eines durch die Luft fliegenden metallische Diskus, sondern eher das dumpfe Aufschlagen der Wogen am Meeresstrand, vermischt mit dem dabei entstehenden Knirsche des Kieses. Das Geräusch kam irgendwo von obenherab, obwoi der Himmel wolkenlos war.   - Wsewolod Iwanow, Sisyphos. In: Phantastische Welten, Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1984 (Phantastische Bibliothek 137)

 

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