est    Die Körper der Sterbenden wurden alle aufeinandergehäuft. Man sah halbtote Geschöpfe in den Straßen umhertaumeln oder in ihrer Begierde nach Wasser sich um die Brunnen scharen. Die Tempel, in denen sie Aufenthalt nahmen, waren voll von den Leichen der Leute, die da gestorben waren.

In manchen Haushalten waren die Menschen von der Last ihrer Unglücksfälle so überwältigt, daß sie die Totenklagen abzuhalten versäumten.

Alle Begräbniszeremonien gerieten durcheinander; man begrub die Toten, so gut es ging. Manche Leute, in deren Familien so viele Todesfälle sich ereignet hatten, daß sie für keine Begräbniskosten mehr aufkommen konnten, verfielen auf die schamlosesten Schliche. Sie kamen als erste bei einem Scheiterhaufen an, den andere errichtet hatten, legten ihren eigenen Toten darauf und zündeten das Holz an; oder wenn ein Feuer schon brannte, warfen sie die Leiche, die sie trugen, auf die anderen drauf und machten sich davon.

Keine Furcht vor göttlichen oder menschlichen Gesetzen hielt sie in Schranken. Was die Götter anbelangt, so schien es auf dasselbe herauszukommen, ob man ihnen Verehrung erwies oder nicht, denn man sah, wie Gute und Böse gleichermaßen starben. Man fürchtete nicht, für Vergehen gegen das menschliche Gesetz zur Rechenschaft gezogen zu werden: niemand erwartete, noch so lange zu leben. Jeder fühlte, daß ein viel schwereres Urteil über ihn schon gefällt worden war. Vor seiner Vollstreckung wollte er noch etwas wie ein Vergnügen vom Leben haben.

Am meisten Mitleid für die Kranken und Sterbenden empfanden noch die, die selber an der Pest gelitten hatten und wieder gesund geworden waren. Nicht nur kannten sie sich in der Sache aus, sie fühlten sich auch sicher, denn niemand bekam die Krankheit ein zweites Mal, oder wenn einer sie bekam, dann war die zweite Attacke nie lebensgefährlich. Solche Leute wurden von allen Seiten beglückwünscht, und sie selber fühlten sich über ihre Genesung so gehoben, daß sie meinten, sie könnten auch in Zukunft nie mehr an einer Krankheit sterben.   - Thukydides, nach (cane)

Pest (2)  Bei manchen mehr als bei anderen wurden die Geschwülste, die im allgemeinen am Hals oder im Schritt auftraten, wenn sie verhärteten und nicht aufbrechen wollten, so schmerzhaft, daß es der allerschlimmsten Folter gleichkam. Manche, unfähig, die Qual zu ertragen, stürzten sich aus dem Fenster, erschossen sich oder brachten sich anderswie um, und ich sah einige schlimme Vorfälle dieser Art. Andere, unfähig sich zu beherrschen, machten ihrem Schmerz durch unaufhörliches Gebrüll Luft, und auf den Straßen konnte man so lautes und klägliches Geschrei hören, daß es einem das Herz brechen konnte. - Daniel Defoe, Die Pest in London,  nach: David B. Morris: Geschichte des Schmerzes. Frankfurt am Main 1996

Pest (3)  Ich fürchte sehr, dass sich jemand zu guter Letzt in den Kopf setzt, mir zu entgegnen, dass alle diese großen Dinge, nämlich die Künste, die Wissenschaften und die Gesetze, sehr weise von den Menschen erfunden worden seien, als heilsame Pest, um der ungezügelten Vermehrung der Gattung vorzubeugen, aus Angst, dass diese Welt, die für uns ausersehen ist, schließlich zu klein für ihre Bewohner wird. - Rousseau, nach (sot)

Pest (4)

Solch ein Krankheitsstoff und todverbreitender Pesthauch
Wandelte einst das Kekropische Land in ein Leichengefilde,
Machte zur Wüste die Gassen und raubte der Stadt die Bewohner.
Tief im Ägypterland war diese Verseuchung entsprungen,
Dann durchflog sie gewaltigen Raum der Lüfte und Meere,
Bis sie am Ende befiel Pandions ganze Bevölkrung,
Die nun haufenweise der Pest und dem Tode geweiht ward.
Anfangs spürten ihr Haupt sie von fiebriger Hitze entzündet,
Und ihr Augenpaar war blutigrot unterlaufen; 
Schwärzlich geronnenes Blut entquoll dem Innern des  Schlundes,
Schwären versperrten der Stimme den Weg und verengten den Durchgang,
Und die Zunge, des Geists Dolmetscherin, schwimmend im Blute
Ward durch die Seuche geschwächt, rauhkörnig und kaum mehr beweglich.
Als nun der Krankheitsstoff durch den Schlund in die Brust war gedrungen
Und er dem Kranken ins zagende Herz war zusammengeflossen,
Ja, da gerieten die Riegel des Lebens alle ins Wanken.
Widrigen Odem verhauchte der Mund in die Lüfte, wie wenn sich
Stank von verfaulendem Aas aus dem Anger des Schinders erhebet. 
Seele wie Körper verloren ermattend jegliche Spannkraft,
Und man fühlte bereits sich dicht vor der Schwelle des  Todes.
Unerträglichem Leiden gesellte beklemmende Angst sich
Unaufhörlich hinzu, und mit Stöhnen mischte sich Jammer;
Häufiges Schluchzen ergriff bei Tag und bei Nacht oft die Nerven;
Dieser beständige Krampf zwang nieder die einzelnen Glieder,
Und die schon lange Erschöpften zerflossen in dieser Ermattung.
Allzu erhebliche Hitze vermochte man nicht zu bemerken
Auf dem Körper der Kranken, der außen mäßig erwärmt schien;
Eher empfand man ein laulich Gefühl, wenn die Hand ihn berührte,
Aber der ganze Leib war von brandigen Schwären gerötet,
Wie wenn das »heilige Feuer« sich über die Glieder verbreitet.
Vollends im Innern der Menschen da brannte es bis auf die Knochen,
Brannte im Magen so loh wie die Flamme im Innern der Esse.
Da half keine Gewandung, so leicht und so dünn man sie suchte;
Einzig nach Wind und nach Kühle war stets ihr Streben gerichtet.
Manche begaben sich drum in die eisigen Fluten der Flüsse
Mit pestglühenden Gliedern und warfen sich nackt in das Wasser.
Viele stürzten sich auch kopfüber hinab in die Brunnen
Und gelangten zuerst mit dem offenen Mund in die Tiefe:
Aber der dörrende Durst, der ins Wasser sie zwang, war mit nichts mehr
Stillbar; reichliches Naß war soviel wie wenige Tropfen.
Nirgend Erholung vom Leiden: matt lagen die Körper am Boden,
Ratlos verstummten die Ärzte, die ihre Befürchtung verbargen,
Wenn sie die Kranken erblickten, die wieder und wieder die Augen
Rollten, die fieberdurchglüht und schlaflos starrten ins Weite.
Außerdem noch erschien viel andres als Zeichen des Todes:
Völlig verwirrter Verstand mit Angstzuständen und
Finstere Stirn und scharfer, ja wütender Blick aus den Augen;
Ferner ein ängstlich erregtes Gehör und Brausen im Ohre,
Fliegender Atem, dann wieder auch riefe und langsame Züge,
Reichlicher Schweißerguß, der perlend am Halse herabfloß,
Dürftiger, salziger, dünner und safranfarbiger Auswurf,
Den nur mühsam die Kehle mit heiserem Husten herauswarf.
In den Händen ein zuckender Krampf, in den Gliedern ein Zittern 
Und an den Füßen herauf zog Glied für Glied sich ein Frösteln
Unaufhaltsam empor. Und ging es schließlich zum Ende:
Eingefallene Nase, die Nasenspitze verlängert,
Hohle Augen und Schläfen, verhärtet und kalt die Gesichtshaut,
Niedersinkender Mund und die Stirnhaut dauernd in Spannung.
Nicht gar lange danach erstarrten die Glieder im Tode;
Meistens gaben ihr Leben sie auf, wenn achtmal die Sonne
Leuchtend die Fackel erhoben, bisweilen auch erst bei derneunten. 
War nun auch einer, wie's kommt, dem Todesschicksal entronnen,
So ergriff ihn doch später die Zehrung, da ekle Geschwüre
Nebst schwarzflüssigem Stuhl ihn schwächten; der Tod war ihm sicher;
Oder es quoll auch nicht selten zugleich mit heftigem Kopfweh
Reichlich verdorbenes Blut aus verstopfenden Nasengeschwüren;
Damit floß auch die Körperkraft dem Erkrankten zugleich hin.
Wer nun auch wirklich dem starken Erguß des vereiterten Blutes
Glücklich entrann, der verfiel doch in Nerven- und Gliederverrenkung;
Ja, es warf sich die Pest sogar auf die Zeugungsorgane. 
Einige ließen in ängstlicher Furcht vor den Pforten des Todes
Lieber das Glied mit dem Messer entfernen, um weiter zu leben.

- (luk)

Pest (5) Diese Todesart dünkt mich keine der schlimmsten: sie ist gemeinhin kurz, bewußtlos, ohne Schmerz, getröstet durch das allgemeine Los, ohne viel Anstalten, ohne Trauer und Bsileidsgedränge. Doch unter der Bevölkerung meiner Gegend kam nicht der hundertste Teil lebend davon.

Auf diesem Gute bestehen meine besten Einkünfte in Handdiensten, und was hundert Menschen für mich bestellten, liegt auf lange hinaus brach.

Aber welch ein Beispiel der Standhaftigkeit sahen wir da in der Herzenseinfalt dieses ganzen geringen Volkes! Sie alle insgemein ließen jegliche Sorge um die Erhaltung des Lebens fahren. Die Trauben, der hauptsächliche Reichtum des Landes, blieben am Weinstock hängen, alle ohne Unterschied bereiteten sich auf den Tod und erwarteten ihn diesen Abend oder für den ändern Tag, und so furchtlos waren ihre Worte und Gebärden, als hätten sie in dieses Unvermeidliche eingewilligt, als wäre er ein allgemeines und unentrinnbares Verhängnis. Er ist es immer. Doch an wie Geringem hängt dieses Einwilligen in den Tod: die Entfernung und der Abstand von einigen Stunden, der bloße Gedanke an unsere Leidensgefährten läßt ihn uns so oder anders erwarten. Seht diese hier; weil sie im gleichen Monde sterben, Kinder, Jünglinge, Greise, erschrecken sie nicht mehr, weinen sie nicht mehr um sich. Ich sah deren, die fürchteten, daß sie zuriickblieben, wie in einer fürchterlichen Einsamkeit; und ich fand insgemein keine andere Sorge als um die Bestattung: es tat ihnen leid, die Leichen zerstreut auf den Feldern herumliegen zu sehen, eine Beute wilder Tiere, die sich alsbald in Scharen einstellten. Mancher, noch heil und gesund, schaufelte sich schon sein Grab; andere legten sich noch lebenden Leibes hinein. Und einer von meinen Tagelöhnern scharrte im Sterben mit Händen und Füßen Erde über sich: heißt das nicht sich tief einhüllen, um ruhiger einzuschlafen? Kurz, ein ganzes Volk erhob sich in kurzer Frist durch das Erleben auf eine Stufe der Festigkeit, die hinter keiner wohlbedachten und ausgeklügelten Standhaftigkeit zurückstellt.  - (mon)

Pest (6)

Die Pest

Eine Phantasie

Gräßlich preisen Gottes Kraft
   Pestilenzen, würgende Seuchen,
Die mit der grausen Brüderschaft
   Durchs öde Tal der Grabnacht schleichen.

   Bang ergreifts das klopfende Herz,
Gichtrisch zuckt die starre Sehne,
Gräßlich lacht der Wahnsinn in das Angstgestöhne,
   In heulende Triller ergeußt sich der Schmerz.

Raserei wälzt tobend sich im Bette -
Giftger Nebel wallt um ausgestorbne Städte,
   Menschen - hager - hohl und bleich -
   Wimmeln in das finstre Reich.
Brütend liegt der Tod auf dumpfen Lüften,
Häuft sich Schätze in gestopften Grüften -
   Pestilenz sein Jubelfest.
Leichenschweigen - Kirchhofstille
Wechseln mit dem Lustgebrülle,
Schrecklich preiset Gott die Pest.

- Friedrich Schiller  1782

 

Meiden Seuche

 

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Verwandte Begriffe
Synonyme