ersonifikation
Welche Rolle ich im Weltkrieg spielte, werde ich Ihnen nicht erzählen.
Man würde mich, den geheimen Urheber alles Großen, das in diesen letzten Jahren
vollbracht wurde, für einen Angeber halten, wenn ich Ihnen auch nur den zehnten
Teil der reinen Wahrheit berichtete. Ich habe zwei Revolutionen und mehrere
Niederlagen organisiert, ich habe fünf Kriminalfälle vom Zaun gebrochen, die
die gefürchtetsten Staatsmänner um ihren guten Ruf gebracht haben; ich habe
ganze Länder ruiniert; ich habe eine Frau an den Galgen gebracht, die schöner
war als die Abendsonne, eine Malaiin, für die ich, ich will Ihnen nicht sagen,
wie viele junge Männer getötet hatte; ich hätte die Menschen entehrt, wenn sie
mehr als ich an diese Ehre geglaubt hätten, von der sie sprechen, an diese Tugend,
die sie predigen und gegen die mein ganzes Leben, Monsieur, bis zur augenblicklichen
Minute nichts anderes als ein beständiger Protest ist, der zwar unnütz, aber
doch so furchterregend ist, daß ich immer noch von Zeit zu Zeit lachen kann,
wenn mich der Zufall an einem Spiegel vorbeiführt
und ich mein Bild streife, das trotz allem noch schön genug ist, um die Hingabe,
den Großmut, den Heroismus zu personifizieren. -
(lib)
Personifikation (2)
Wer kann sich schon anmaßen, zu sagen, was der Krieg
wirklich will, riesig und unnahbar, wie er ist ... so losgelöst von allem. Vielleicht
ist der Krieg gar kein bewußtes Wesen - vielleicht gar nichts Lebendiges. Vielleicht
ist er nur etwas, das dem Leben grausam und zufällig ähnelt? Bei der «Weißen
Visitation» sitzt zum Beispiel ein Langzeit-Schizo ein, der sich selbst
für den Zweiten Weltkrieg hält. Er kriegt keine Zeitungen, er weigert sich,
Radio zu hören, und doch stieg seine Temperatur am Tag der Landung in der Normandie
plötzlich auf 40 Grad an. Jetzt, da sich die Zange von Ost und West her langsam
schließt, spricht er von Finsternis, die sich über seinen Geist legt, von einer
Abrasion seines Selbst... Die Rundstedt-Offensive richtete
ihn noch ein wenig auf, gab ihm noch einmal Lebensmut - «ein herrliches Geschenk
zu Weihnachten», vertraute er dem Pfleger auf seiner Station an, «jetzt ist
die Zeit der Geburt, des Neuanfangs». Wenn In Hörweite Raketen einschlagen,
rötet sich sein Gesicht, sein Muskeltonus steigt, er strahlt, springt auf, marschiert
durch den Krankensaal, Freudentränen schimmern in seinen Augenwinkeln, und selbst
die anderen Patienten werden von seiner Stimmung angesteckt. Doch seine Tage
sind gezählt. Er wird den V-E-Day nicht überleben. Ist er schon nicht der Krieg
persönlich, so doch dessen Kind und Stellvertreter, dem eine Lebensspanne zugemessen
ist mit Saus und Braus, doch kommt der feierliche Tag, dann basta.
- Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei
Hamburg 1981
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