Fersonenmagnetismus  Im Jahr 1914  präsentiert Pessoa den von ihm angekündigten Super-Camões in Gestalt seiner wichtigsten Heteronyme: Alberto Caeiro, Ricardo Reis und Alvaro de Campos (»Heteronyme« nannte Pessoa seine Pseudonyme, doch unterscheiden sich erstere von letzteren dadurch, daß Pessoa ihnen ein eigenes Leben zusprach, in das er sich selbst gelegentlich verirrte als sein eigenes Heteronym, ansonsten hob er sich von ihnen als »Orthonym« ab).

Fortan ist dieser größte portugiesische Dichter des 20. Jahrhunderts die literarische Wirkungsstätte, in der sich Caeiro, Reis, de Campos und auch Bernardo Soares, jener Hilfsbuchhalter, der Das Buch der Unruhe geschrieben hat, einrichten; jeder auf seine Weise, mit dem ihm eigenen literarischen Profil und jeweils verschiedener ästhetischer Ausrichtung, wenn auch untereinander verbunden, physisch und metaphysisch in der Person Fernando Pessoas.

Doch in dem Maße wie sich Pessoa sozusagen in mehrere Dichtergestalten auseinanderfaltet, schrumpft die äußere Existenz zu dem nichtssagenden Wesen zusammen, als das ihn die Nachwelt, sieht sie von seinem Werk ab, in Erinnerung behält und auf das Pessoa sich selber mit Absicht reduzierte. Pessoa - »Person« - wurde in dem Maße zur Allperson, wie die eine Person in einen offenen Plural überging, und zwar in einen höchst dramatischen Plural - »dra-ma em gente« nannte Pessoa seine Heteronymendichtung. Sein Kopf wurde das Theater, in dem das Stück »drama em gente« bis an sein Lebensende mit den immer identischen Hauptfiguren durchgespielt wurde - wobei »gente« im Portugiesischen nicht nur Leute meint, sondern auch die ganz neutralen Indefinitpronomen »man«, »jemand« ...

Man kann das Phänomen der Heteronyme sicherlich klinisch untersuchen, wie es einige Lebensdeuter Pessoas versucht haben. Er selbst hatte sich nach dem i. Weltkrieg brieflich an die französischen Psychiater Hector und Henri Durville gewandt, um Auskünfte über eine mögliche Weiterentwicklung seines, wie er es nannte, Personenmagnetismus zu erhalten. Und noch im Jahre seines Todes bekannte er in einem Brief an den Kritiker Adolfo Casais Monteiro: »Seit meiner Kindheit gab es bei mir die Tendenz, um mich herum eine fiktive Welt zu schaffen, mich mit Freunden und Bekanntschaften zu umgeben, die nie existiert haben (selbstverständlich weiß ich nicht, ob sie nie wirklich existiert haben oder ob ich es bin, der nicht existiert. In diesen Dingen wie überhaupt sollte man nicht dogmatisch sein). Seitdem ich mich als das kenne, was von mir ich genannt wird, erinnere ich mich, geistig die Gestalt, die Bewegungen, den Charakter und die Lebensgeschichte mehrerer unwirklicher Figuren entworfen zu haben, die für mich so sichtbar und die mir so vertraut waren wie jene Dinge, die dem angehören, was wir vielleicht verkehrterweise als das wirkliche Leben bezeichnen.«    - Nach Reinold Werner, Nachwort zu: Fernando Pessoa, Ein anarchistischer Bankier. Berlin 1986 (zuerst 1922)

 

Person Magnetismus

 

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