ersönlichkeit Erstens muß betont werden, daß GOLEM XIV kein bis zum Umfang eines Gebäudes vergrößertes menschliches Gehirn oder gar ein aus Lichtelementen erbauter Mensch ist. Fast alle Motive des menschlichen Denkens und Handelns sind ihm fremd. So interessiert er sich zum Beispiel nicht für die angewandte Wissenschaft oder für die Problematik der Macht (weshalb, so könnte man hinzufügen, der Menschheit keinerlei Beherrschung durch Maschinen wie GOLEM droht).

Zum zweiten besitzt GOLEM, im Einklang mit dem Gesagten, weder eine Persönlichkeit noch einen Charakter. Im Kontakt mit Menschen kann er sich eigentlich jede beliebige Persönlichkeit zulegen. Diese beiden Sätze schließen einander nicht aus, sondern bilden einen Teufelskreis, denn wir vermögen das Dilemma, ob das, was verschiedene Persönlichkeiten erzeugt, selbst eine Persönlichkeit ist, nicht aufzulösen. Wie kann einer denn ein Jemand (d.h. »ein Einziger«) sein, wenn er ein Jeder (also ein Beliebiger) zu sein vermag? (Nach Meinung des GOLEM selbst handelt es sich nicht um einen Teufelskreis, sondern um eine »Relativierung des Persönlichkeitsbegriffs«, ein Problem, das mit dem sogenannten Algorithmus der Selbstbeschreibung oder Autodeskription zusammenhängt und die Psychologen in große Verwirrung gestürzt hat.)

Zum dritten ist das Verhalten GOLEMs unberechenbar. Bisweilen läßt er sich geradezu höflich auf eine Diskussion mit Menschen ein, manchmal bleiben Kontaktversuche aber auch fruchtlos. Es kommt auch vor, daß GOLEM scherzt, doch ist sein Sinn für Humor von dem des Menschen völlig verschieden. Vieles hängt von den Gesprächspartnern selbst ab. GOLEM zeigt - ausnahmsweise und selten - ein gewisses Interesse für Menschen mit bestimmten Begabungen; was ihn offenbar nicht reizt, sind mathematische Talente, und wären es die größten, sondern eher »interdisziplinäre« Formen des Talents; es ist schon mehrfach vorgekommen, daß er jungen, noch ganz unbekannten Wissenschaftlern - mit einer unheimlichen Treffsicherheit - Erfolge in der von ihnen gewählten Disziplin vorhersagte (dem zweiundzwanzig jährigen T. Vrödel, der gerade seinen Doktor machte, erklärte er nach einem kurzen Meinungsaustausch: »Aus Ihnen wird noch ein Computer«, was ungefähr bedeuten sollte: »Aus Ihnen wird noch etwas«).

Zum vierten verlangt die Teilnahme an Gesprächen mit GOLEM Geduld von den Menschen, vor allem aber Selbstbeherrschung, denn er pflegt aus unserer Sicht arrogant und apodiktisch zu sein; im Grunde ist er - im logischen Sinne, nicht nur im Sinne der Verkehrsformen - bloß ein rücksichtsloser Wahrheitsfanatiker, und da er die Eigenliebe seiner Gesprächspartner gering schätzt, kann man von ihm auch keine Nachsicht erwarten. Während der ersten Monate seines Aufenthalts am MIT zeigte er eine Neigung, verschiedene bekannte Autoritäten »öffentlich zu demontieren«: er benutzte dabei die sokratische Methode der hinlenkenden Fragen; von dieser Gewohnheit hat er dann jedoch aus unbekannten Gründen abgelassen.

Wir stellen die Gesprächsstenogramme in Auszügen vor. Ihre vollständige Ausgabe würde ungefähr 6700 Seiten im Quartformat umfassen. An den Begegnungen mit GOLEM hat anfangs nur ein engerer Kreis von MIT-Mitarbeitern teilgenommen. Später wurde es üblich, Gäste von auswärts, z. B. vom Institute for Advanced Studies und von amerikanischen Universitäten, einzuladen. In einer späteren Phase nahmen auch Gäste aus Europa an den Seminaren teil. Der Moderator der vorgesehenen Sitzungen legt GOLEM die Liste der Geladenen vor; GOLEM ist aber nicht mit allen gleichermaßen einverstanden, sondern läßt manche nur unter der Bedingung zu, daß sie Schweigen bewahren. Wir haben herauszubekommen versucht, welche Kriterien er anlegt; anfangs schien es, als diskriminiere er die Humanisten; gegenwärtig kennen wir seine Kriterien einfach nicht, weil er sie nicht benennen will.

Nach einigen unliebsamen Vorkommnissen haben wir die Verfahrensordnung dahingehend geändert, daß nunmehr jeder neue Teilnehmer, der GOLEM vorgestellt wurde, auf der ersten Sitzung nur dann das Wort ergreift, wenn GOLEM sich direkt an ihn wendet. Dumme Gerüchte, die etwas von einer »höfischen Etikette« oder von unserem »unterwürfigen Verhältnis« zur Maschine wissen wollen, entbehren jeder Grundlage. Es geht ausschließlich darum, daß der Neuankömmling sich mit den bestehenden Bräuchen vertraut macht und daß er nicht unangenehmen Erlebnissen ausgesetzt wird, die aus seiner Unkenntnis der Intentionen des Lichtpartners erwachsen könnten. Eine solche Erstteilnahme nennen wir »Einübung«.

Jeder von uns hat im Laufe der verschiedenen Sitzungen ein gewisses Erfahrungskapital gesammelt. Dr. Richard Popp, eines der ehemaligen Mitglieder unseres Teams, bezeichnet GOLEMs Humor als mathematisch, und einen Schlüssel zu seinem Verhalten liefert teilweise die Bemerkung Dr. Popps, daß GOLEM von seinen Gesprächspartnern in einem Maße unabhängig sei, wie es kein Mensch von anderen Menschen sein könne, weil er sich in der Diskussion nur in mikroskopischem Umfang engagiere. Dr. Popp meint, GOLEM befasse sich überhaupt nicht mit den Menschen - da er wisse, daß er von ihnen nichts Wesentliches erfahren könne. - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main 1986 (st 1266, zuerst 1973, 1981)

Persönlichkeit (2)  Was der Deutsche Persönlichkeit nennt, ist nicht weit ab von dem, was man in einer etwas vulgären Sprache als Dicknäsigkeit oder Pampigkeit bezeichnet: immer gleich dem ändern die Faust unter die Nase halten, bedrohlich werden, knotig. Es ist das, was im militärischen Leben „sich durchsetzen" genannt und das in den Qualifikationen hoch bewertet wird. Der Führerbegriff gab ihm dann den Rausch; im Traum vom „Rabauken", dem Idealbegriff der Nazi, seiner schöpferischen Parallele zum Gentleman und Honnête Homme der Kulturnationen, wurde er germanisch-kosmisch. Keine Idee davon, daß man sich innerlich erziehen, daß man überhaupt an sich Forderungen stellen sollte, und daß Haltung und Höflichkeit keine Entartung ist. Es sind ja Formen, zu denen diese Selbsterziehung führen würde, es ist Distanz, es ist etwas aristokratisch Bestimmtes - wie sollte der Deutsche das innerlich gestalten? Der Deutsche will sich ja gar nicht innerlich gestalten, er will sich entwickeln, zum Schluß erlöst werden und bis dahin immer feste druff und über Gräber vorwärts - fremde Gräber und wohin das führt, das sehn wir ja.  - Gottfried Benn, Kleinere Stücke aus dem Nachlaß. In: G. B., Prosa und Szenen. Ges. Werke Bd. 2. Wiesbaden 1962

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