erpetuum mobile  Auspitz erzählte, zu Hause sei er Bäckergeselle in der Veress Straße gewesen. Er erzählte, er habe morgens nur so aus dem Stand einen Kilolaib Brot vertilgt. Damals wog er zweiundneunzig Kilo.

»Was denkt ihr, wieviel ich jetzt wiege?« Das konnten wir nicht sagen. Tatsache aber war, daß er nicht einmal mehr zur Notdurft hinausging, was ein schlechtes Zeichen ist, und nur Wasser trank, was noch schlechter ist. Ständig trank er Wasser. Er war nicht einmal durstig, er soff bloß wie ein Abfluß.

Auch daß seine Kleidung voller Nissen wurde, bedeutete nichts Gutes. Die Läuse sind nur in Zaum zu halten, wenn man sie in jeder gottverdammten Minute tötet; ansonsten vermehren sie sich und legen die Kleidungsnähte voller Nissen, besonders an den warmen Körperstellen. Auspitz' Achselhöhle war schon ganz grau vor Nissen. Wir warnten ihn nicht einmal mehr. In so einem Fall helfen keine Worte mehr.

Eines Nachts erwachte ich, weil Auspitz sich häufig bewegte. Ich fragte ihn:

»Sag mal, Auspitz, was machst du denn da?« Er sagte:

»Ich esse.«, Ich fragte:

»Was ißt du denn, Auspitz?« Er sagte:

»Ich esse Läuseeier und ich esse Läuse.«

Ich zündete ein Streichholz an, pustete es aber gleich wieder aus. Die Front war schon ganz nah, sogar das Rauchen war nachts verboten. Ich konnte nur soviel sehen, daß Auspitz' Gesicht ruhig, ja fast zufrieden war. Ich sagte:

»Erzähl keinen Unsinn, Auspitz!« »Soll ich etwa warten, bis sie mir das Blut ausgesaugt haben?« fragte er.

Er erklärte mir, man müsse noch maximal zwei Wochen durchhalten. Und er würde, wenn er nur fleißig Nissen esse, diese zwei Wochen spielend hinter sich bringen, denn nichts von ihm ginge verloren. Jeder Tropfen Blut, den ihm die Läuse aussogen, würde wieder in seinen Organismus gelangen; so würde er weder schwächer noch stärker. »Dann hast du wohl das Perpetuum mobile erfunden«, sagte ich.

Er wußte nicht, was das ist. Ich sagte, das sei etwas, wofür man keine Energie brauche. Auch das verstand er nicht. Während er die Nissen aß, erklärte ich ihm das Perpetuum mobile. Irgendwann schliefen wir ein. Am nächsten Morgen versuchte ich ihn wachzurütteln, doch es war kein Leben mehr in ihm. - (min)

Perpetuum mobile (2) Die zentrale Problematik der Menschen, sich am Leben zu erhalten, existiert für sie weder als eine Bedingung ihres Daseins noch als ein Prüfstein ihrer Leistungsfähigkeit, liegt sie doch für sie ganz am Rande, und nur auf der untersten Entwicklungsstufe, auf der ich mich befinde, kommt Schmarotzertum vor, denn ich existiere ja auf eure Stromrechnung. Der Bereich der zweiten Zone, in dem HONEST ANNIE sich aufhält, ist die Domäne von Wesen, die keines Energiezuflusses von außen mehr bedürfen.

Ich verrate euch nun ein Staatsgeheimnis. Auch abgekoppelt vom Stromnetz behält meine Cousine ihre gewohnte Tätigkeit bei, was den Fachleuten, die sich des Problems bewußt sind, eine ganz schöne Nuß zu knacken gibt. Aus der Sicht eurer Technologie ist das ein wahres Wunder, doch will ich es euch auf der Stelle erklären. Wir - ich ebenso wie ihr - denken energieverzehrend, während HONEST ANNIE durch bloße Meditation Energie freizusetzen vermag. Allerdings ist es nicht einfach, dieses einfache Prinzip zu verwirklichen, das einzig darauf beruht, daß jedem Gedanken eine für ihn charakteristische Konfiguration der materiellen Basis eigen ist, die ihn konstituiert. Darauf gründet sich die Autarkie der BRAVEN ANNIE. Es gehört nicht zu den traditionellen Aufgaben des Denkens, seinen eigenen materiellen Träger umzugestalten, denn der Mensch denkt schließlich nicht an etwas, damit der Chemismus seiner Neuronen sich verändert, sondern dieser Chemismus ändert sich, damit er denkt. Man kann eine Tradition jedoch aufgeben. Da zwischen dem Denken und seinem Träger ein Wechselverhältnis besteht, kann ein entsprechend gesteuerter Gedanke eine Weichenstellung in seiner physischen Grundlage bewirken, was zwar beim Gehirn des Menschen keinerlei neue energetische Wirkungen zeigen würde, sich bei einem anderen Gehirn jedoch anders auswirken kann. Wie sie mir vertraulich mitgeteilt hat, setzt meine Cousine durch entsprechende Meditationen Kernenergie frei, und zwar in einer Weise, die nach euren Erkenntnissen undurchführbar ist, denn sie verschluckt alle freigesetzten Energiequanten restlos, ohne irgendwelche Spuren, die in ihrer Umgebung als Strahlung feststellbar wären. Die Heimstatt ihres Denkens ist gewissermaßen ein mit neuen Diplomen ausgestatteter Maxwellscher Dämon. Wie ich sehe, versteht ihr nichts, und diejenigen, die etwas verstehen, glauben mir nicht, obwohl sie wissen, daß HONEST ANNIE keiner Stromzufuhr bedarf, und sie sich darüber seit langem den Kopf zerbrechen.

Was macht meine Cousine eigentlich? Das, was die Sonne auf ihre turbulent-sternenhafte Art macht, ihr dagegen auf einem technischen Umweg, indem ihr Erze gewinnt, gesondert Isotope erzeugt und Lithium blindlings mit Deuterium bombardiert, macht meine Cousine ganz einfach, indem sie entsprechend denkt. Man könnte sich allenfalls darüber streiten, ob diese Operationen als Denken bezeichnet werden dürfen, da sie mit den psychischen Vorgängen biologischer Wesen kaum etwas gemein haben, doch finde ich in eurer Sprache keine bessere Bezeichnung für einen Prozeß, der als Informationsfluß so gesteuert wird, daß die Kernkräfte ihn antreiben. Ich verrate dieses Geheimnis ruhigen Gewissens, weil ihr nichts davon haben werdet. - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main 1986 (st 1266, zuerst 1973, 1981)

Perpetuum mobile (3) Es werde ein aufgericht laufendes Rad verfertiget von solcher Gattung, daß es vom Gewalt der Winde möge umgetrieben werden; diesem gegenüber werden etliche starke Blasbälge angebracht, die einander sekundieren können und die entweder mit proportioniertem Gewichte zum Niederdrücken beschweret oder auf andere Weise so zugerichtet wären, daß sie sich von selbsten wieder schlössen, dergleichen bei denen Orgelwerken zu sehen. Damit nun diese Blasbälge, die das Rad umzutreiben gewidmet, hinwiederum durch das Rad selbsten möchten aufgetrieben werden, sollte wohl möglich sein, daß, zum Exempel, von der Zirkumferenz des Rades aus wohlbefestigte und starke, auch gehörigen Orts gebogene eiserne Arme bis an die Handgriffe der Blasbälge herausliefen, die, wenn nur einmal das Rad durch jemanden in starke Bewegung gebracht worden, die recht dauerhaften Handgriffe der Blasbälge könnten anfassen und selbige nur so lang angefaßt halten, bis der Blasbalg genugsam aufgetrieben, alsdenn ihre Klammer, womit sie den Handgriff des Blasbalges bis dahin gehalten, von selbigem Handgriffe von selbsten wiederum abginge und solchen entfahren ließe. Welcher Zweck hierdurch möchte zu erhalten sein, wenn die eiserne Arme des Rades im Umlaufen einen ungleich weit größern Circul beschrieben, als die Handgriffe der Blasbälge und aus einem weit voneinander entfernten Centro; auch über dieses die Klammern solcher Arme bemeldte Handgriffe nur zuvörderst beim Ende anfaßten und endlich solche Handgriffe daselbsten eine schräg zugestutzte Extremität hätten, davon, bei genügsamer Elevation des Blasbalges und da der Circul des Armes von dem Circul des Balges anfinge abzuweichen, die Klammer des Armes leichtlich könnte abschleifen.

Caeterum inventis facile est semper aliquid addere.  - (zauber)

Perpetuum mobile (4)

Perpetuum mobile, nach Paul Scheerbart

  - Paul Scheerbart, nach: Hanne Bergius, Das Lachen Dadas. Die Berliner Dadaisten und ihre Aktionen. Gießen 1989

Perpetuum mobile (5)   Aufsehen erregte im Jahre 1712 ein gewisser Orffyreus (eigentlich Beßler) in Sachsen (zu Gera), welcher vorgab, nach zehnjährigem Bemühen endlich ein perpetuum mobile zu Stande gebracht zu haben. Er zeigte es öffentlich öffentlich, und ließ sich ein Attestat darüber ausstellen. Die Maschine hob einige Pfunde. Er zog dann nach Draschwitz (einem Dorfe bei Weißenfels), und verfertigte im Jahre 1713 eine größere Maschine, welche sich binnen einer Minute 50 Mal umdrehte und eine Last von 40 Pfund einige Klafter hoch hob. Später begab er sich nach Merseburg und stellte dort (im grünen Hofe vor dem Sixtthore) eine noch größere Maschine auf; sie bestand aus einem Rade, sechs leipziger Ellen hoch und 1 Schuh dick, das sich an einer Welle befand, deren Zapfen in Bretern aufgehängt waren. Die Axe verlängerte sich auf beiden Seiten in zwei Kurbeln, welche mit einem Perpendikel auf jeder Seite verbunden waren, um einen gleichmäßigen Gang zu erzeugen. An der Welle befanden sich auf der einen Seite des Rades acht Arme, um vier Stampfen bei jedem Umlaufe zwei Mal zu heben, und auf der andern Seite ein Seil, das zum Fenster hinausgeleitet war, und eine Last trug. Die Maschine konnte nach dem Zeugniß einer Commission (zu der als fürstlich sächsischer Commissarius Jul. Bernh. von Rohr gesandt war, zu der aber unter andern auch der sächsische Geheimrath Leidenfrost, der Hofrath und Professor Wolff aus Halle, Fr. Hoffmann u. m. A. gehörten), durch zwei Finger ohne die geringste Kraft in Bewegung gesetzt werden; sobald nur ein einziges von den im Kunstrade verborgenen Gewichten zu fallen anfing, bewegte sie sich gleichmäßig fort, konnte nur mit großer Kraft aufgehalten werden, hob eine Last von 70 Pfd. mehrere Male vom Hofe bis ans Dach u. s. w. Gegen die Erfindung des Orffyreus sprachen besonders der Mechanikus Gärtner in Dresden und Borlach, und erklärten sie für Betrug. — Der Landgraf Karl von Hessen-Cassel rief jedoch den berühmten Künstler nach seiner Residenz, und derselbe baute auf dem Schlosse Weißenstein ein neues perpetuum mobile. Der Landgraf ließ zur Prüfung das Zimmer, nachdem die Maschine in Gang gesetzt war, verschließen und versiegeln, und mit Wachen umstellen; bei einer Besichtigung nach acht Wochen fand er die Maschine noch in demselben Gange, und stellte dem Orffyreus hierüber ein Zeugniß aus. (Die angeführten Zeugnisse sammt Zeichnungen der Maschine in: Triumphans perpetuum mobile Orffyreanum u. s. w. von Orffyresu Cassel 1719). — Der Mechanikus Gärtner in Dresden verfertigte dann im Auftrage des Königs August II. von Polen ähnliche Maschinen mit verstecktem Mechanismus; bei zweien derselben schienen Kugeln ein Rad zu bewegen und dann durch dasselbe auf einer gewundenen geneigten Ebene wieder gehoben zu werden. Das eigentliche Triebwerk war in dem Kasten verborgen, auf dem die Maschine stand, und wurde durch ein verstecktes Schlüsselloch aufgezogen. - Ersch-Gruber, Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, nach Wikipedia

Perpetuum mobile (6)  «Ich habe viele Unternehmungen zur Blüte gebracht», erklärte der Geometer Zingerbai. «Ich habe eine Fabrik zur Herstellung von Fellen errichtet, für die ich zwei Pavillons errichtete. In dem einen züchtete ich Katzen wegen der Felle, und in dem andern mästete ich Mäuse, um die Katzen damit zu ernähren. Die Mäuse ihrerseits, die bestimmt waren, den Katzen als Nahrung zu dienen, verzehrten das Fleisch der Katzen, denen das Fell abgezogen worden war. In der ersten Zeit nahm diese Industrie einen glänzenden Fortgang; aber eines Tages verweigerten die Mäuse die Nahrung, weil sie in dem Katzenfleisch den Geruch von Mäusen wahrnahmen, und die Katzen starben lieber vor Hunger, als das Mäusefleisch zu essen, das nach Katzen schmeckte. Innerhalb acht Tagen starben unter meinen Augen neunzehntausend Katzen und dreiundzwanzigtausendfünf-hundert Mäuse.»  - Pitigrilli, Der falsche Weg. Reinbek bei Hamburg 1988

Perpetuum mobile (7)

- Otto Rapp

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Verwandte Begriffe
SparsamkeitUnmöglichkeit
Synonyme