enicillus
Melanie bittet NDB, über die neue Oper Penicillus
zu sprechen. NDB führt die Oper für uns auf. Wird Rosas Kreis das aushaken?
NDB singt, rezitiert, imitiert Orchester, spielt seine Alexanderrolle, zieht
als Alexander für uns nach Indien, ein Flüchtling, getarnt als Eroberer.
Erstens flieht er vor seinem Halbbruder Philipp Arrhidaios, der gilt nur für
schwachsinnig, Alexander hält ihn für noch größer als sich selber, kommt der
Idiot doch ohne Ruhm aus. Zweitens flieht Alexander vor den Einteilungen des
Aristoteles. Drittens flieht er, um auf Dionysos'
Spuren zu vergessen, daß er Alexander ist. Er möchte nämlich am liebsten sein,
wozu er am wenigsten gewachsen ist. Dionysos möchte er sein. Aber er hat offenbar
ein Fehl, ein körperlich-männliches, das geht ihm nicht bloß nach, das trägt
er mit sich, sein unvollkommenes Zeug, ein doppeltes Deminutiv, das ihm nicht
gehorchte in Makedonien und Griechenland und nicht bei der iranischen Roxane.
Was bleibt ihm da, als abzuhauen, an der Spitze von harten Heeren die Welt zu
erobern und sich wenigstens zum Gott erklären zu lassen in Didyma, Ägypten und
Babylon, dann, als Eroberer verkleidet, nach Indien zu wallfahrten, von wo schon
einmal einer mit Stab schwingenden Frauen unter Evoe-Gebrüll und mit tollen
Fähigkeiten zurückkam. Der mußte Knoten nicht mehr durchhauen, dem schmeichelten
die Schnüre und lösten sich schmiegsam von selbst. Alexander aber kehrt aus
Indien anders zurück: er bringt Ameisen mit, so groß wie Füchse, abgerichtet
zum Scharren von Goldsand; Elfenbein zur Herstellung noch verläßlicherer Zirkel;
die Reispflanze bringt er; einen neuen Schleusenverschluß; bessere Seide; leichtere
Sättel; ein chinesisches Meßtischblatt etc. Jung wie er ist, stirbt er nachts
an sich selbst in Babylon. Umgeben von den Tempelmädchen der assyrischen Myiitta.
Die lernen an der starr werdenden Leiche gleich das Nämensingen. Jede erzählt,
wie es war mit ihm. Jede schwört: nach Alexander will sie keinen mehr. Darüber
sind sich die erfahrenen Mylitta-Mädchen ganz einig. Es gibt keinen wie er einer
war. Schäumte er bei Dir auch vor Scham, entschuldigte sich für seine Geringheit
und Schwäche, ließ sich, was er Penicillus nannte, mit Lorbeer-Reis peitschen?
Ja, bei ihr auch. Ja, bei allen. Und doch sind alle einig darüber: er war der
Größtebeste, keiner wird sein wie er einer war. Und wenn man's ihm beteuerte,
wollte er davon nichts hören. Schmeichelei! Speichelleckerei! schrie er, man
hätte das Leben riskiert, hätte man weiter zu seinen Gunsten verglichen. Er
war Alexander der Größte, kein Zweifel. Aber wie traurig: sich selber war er
vielviel zu gering. Die Damen waren aufs angenehmste schockiert. - Martin Walser, Das Einhorn. Frankfurt am Main
1966
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