Pelerine  Einer schaut auf mich, und ich schaue ihn an, und er schaut in sein Bierglas; einer steht auf, und ich wende mich zu ihm, und er setzt sich langsam wieder hin. — Einfach zur Tür hinausgehn! nehme ich mir vor: Gradweg auf die Burschen zu und an ihnen vorbei und gelassen hinaus! — da tritt ein alter Mann durch die Tür, auf dem Kopf einen schwarzen, zerknautschten Schlapphut, um den Hals eine schäbige Pelerine, Schmachtlocke, Schnurrbart, stechender Hundeblick, und die Arme halten etwas, das sich unter dem Umhang bewegt. — Er bringt Beute für die Seinen! denke ich und gehe entschlossen der Tür zu; die Burschen sind zurückgetreten, der Alte scheint mich nicht zu beachten, ich habe die Klinke schon in der Hand, da höre ich hinter mir jemand flüstern:

Paß auf, gleich gibt er uns ein Zeichen.
Wenn's losgehn soll, wird er Katzen seichen!

Dummes Zeug! denke ich, und: Billiger Schwindel, diesen Trick werde ich entlarven!, und so drehe ich mich denn um und schaue scharf auf die Pelerine, darunter es sich nun lebhaft regt, da sagt einer: Jetzt!, und lautlos ein Schwirren, und im selben Moment die Falle begreifend, spüre ich den Stahlrohrschlag über den Nacken und denke: Wieder drauf reingefallen! und ergebe mich der Bewußtlosigkeit, daraus ich mit heitrem Grauen erwache. - Franz Fühmann, Der Traum vom Totschlägerclub. In:  F.F., Der Mund des Propheten. Späte Erzählungen. Berlin 1991

Pelerine (2)  Als ich am Gitter des Parks entlangging, erblickte ich den Kerl mit der Pelerine. Er war immer noch da, in dem menschenleeren Park; seine Nase war genauso rot geworden wie seine Ohren.

Ich wollte das Tor aufstoßen, aber sein Gesichtsausdruck ließ mich erstarren: er kniff die Augen zusammen, halbgrinsend, blöde und schleimig. Aber gleichzeitig starrte er gerade vor sich etwas an, das ich nicht sehen konnte, mit einem so harten Blick und so durchdringend, daß ich mich ruckartig umwandte.

Ihm gegenüber, einen Fuß in der Luft, den Mund halb geöffnet, starrte ihn ein etwa zehnjähriges Mädchen gebannt an, zerrte nervös an seinem Halstuch und streckte sein spitzes Gesicht vor.

Der Mann lächelte in sich hinein, wie einer, der einen guten Streich vorhat. Auf einmal stand er auf, die Hände in der Tasche seiner Pelerine, die ihm bis auf die Füße fiel. Er machte zwei Schritte und verdrehte die Augen. Ich dachte, er würde hinfallen. Aber er lächelte weiter, mit schläfrigem Ausdruck.

Ich begriff plötzlich: die Pelerine! Ich hätte das gern verhindert. Ich hätte nur zu husten oder das Tor aufzustoßen brauchen. Aber ich war meinerseits gebannt vom Gesicht des kleinen Mädchens. Ihre Züge waren vor Angst verzerrt, ihr Herz mußte schrecklich klopfen: allerdings las ich auch auf diesem Rattenschnäuzchen etwas Mächtiges und Böses. Es war keine Neugier, sondern eher eine Art unerschrockener Erwartung. Ich fühlte mich ohnmächtig: ich war draußen, am Rande des Parks, am Rande ihres kleinen Dramas; aber sie, sie waren aneinander gefesselt von der dunklen Macht ihrer Begierden, sie bildeten ein Paar. Ich hielt den Atem an, ich wollte sehen, was sich auf diesem ältlichen Gesicht abzeichnen würde, wenn der Mann, hinter meinem Rücken, die Schöße seiner Pelerine aufschlüge.

Aber plötzlich, wie befreit, schüttelte die Kleine den Kopf und fing an zu rennen. Der Typ mit der Pelerine hatte mich gesehen: das hatte ihn abgehalten. Eine Sekunde verharrte er regungslos mitten in der Allee, dann ging er mit gebeugtem Rücken weg. Die Pelerine schlug gegen seine Waden.

Ich stieß das Tor auf und holte ihn mit einem Satz ein.

«Na hören Sie mal!» rief ich.

Er begann zu zittern.

«Eine große Bedrohung lastet auf der Stadt», sagte ich höflich im Vorbeigehen.  - Jean-Paul Sartre, Der Ekel. Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1938)

 

Mantel

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme