eitschenstiel Um von dem Berg schneller ins Tal zu gelangen, legte ich mich hin und rollte hinab. Hinter mir her rollten Bündel die Menge; die wollten es mir nachmachen. Ihnen ist dabei nichts passiert. Auch ich tauchte bloß mein Gesicht in einen weichen Kuhfladen, aber nicht der ganze klebte an meinem Gesicht, es blieb noch genug übrig. Übler erging es einem armen Schimmel, der dort in der Niederung graste. Der erschrak nämlich vor uns, und zwar so sehr, daß er samt seinen Fußfesseln aus der Welt hinausraste und bis zum heutigen Tag nicht zurückgekommen ist.
Ich rieb mein Gesicht im Gras ab, wie es die Hühner machen,
und ging nachsehen, ob meine Ochsen noch da waren. Da hatte mein Peitschenstiel
in der Erde Wurzeln gefaßt und ein Baum war aus ihm gewachsen. Der war so hoch
wie der große Turm von Brasso, und in seinen Zweigen hatten die Stare so viele
Junge ausgebrütet, daß ihr Geschnatter das Brausen in der Mühle übertönte. Ei,
da freute ich mich sehr, denn ich dachte mir, ich würde nun junge Stare in Menge
fangen. Ich konnte gut klettern und klomm sogleich auf den Baum. Ich wollte
meine Hand in das Loch stecken, sie ging aber nicht hinein; da probierte ich
es mit dem Kopf, und der hatte gut Platz darin. Ich sammelte in mein Hemd so
viele junge Stare wie hineingingen; dann wollte ich aus dem Loch schlüpfen,
aber die Öffnung war zu klein, ich kam nicht durch. Ich rannte also nach Hause,
holte das kleine Beil und befreite mich. Aber ich konnte nicht hinuntersteigen,
denn der Baum war ziemlich dick, auch schwindelte mir der Kopf. Darum rief ich
dem Müller zu, er solle mich hinunterheben. Der Müller dachte, ich hätte vor
Hunger geschrien und schickte mir durch seinen Sohn Müllerpogatschen. Ich aber,
wütend wie ein Truthahn, sagte dem Jungen, daß ich nicht von Hunger geplagt
sei, worauf er straks davonlief und mir einen Scheffel Kleie brachte. Den reichte
er mir an einer langen Stange herauf, und ich drehte aus der Kleie einen Strick,
einen so starken Strick, daß man den Mühlstein hätte daran aufhängen können.
Ich probierte, ob er bis zur Erde reichte, doch einfach genommen reichte er
nicht. Da nahm ich ihn doppelt, und nun reichte er so gut, daß ein Stück von
ihm noch auf der Erde auflag. Ich fing an, mich an dem Seil herabzulassen. Da
zernagte ein Wurm den Strick dort, wo ich ihn an einen Ast gebunden hatte, und
ich plumpste samt Strick hinunter. Doch bevor ich noch auf die Erde fiel, hatten
sich die Stare in meinem Hemd gemausert, die Flügel waren ihnen gewachsen, und
sie flogen mit mir in die Luft. -
Lügenmärchen aus alter und neuer Zeit. Hg. Georg A. Narciß. Frankfurt am Main
1966 (Fischer-Tb. 744)
Peitschenstiel (2)
Peitschenstiel (3)
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