atriotismus  Nur in den Staaten, wo die Untertanen solche Schweine sind, daß sie ansonsten in die Hosen pissen, ist es wirklich nötig, die Pissoire zu Tempeln einzuweihen.

Sich mit dem Staat abfinden, ist so notwendig als: sich mit dem Scheißen abfinden. Aber den Staat lieben ist nicht so notwendig. - Bertolt Brecht, Notizen 1919

Patriotismus (2) Zu Sparta durfte ein Jüngling einen Alten bitten, er wolle ihm nachhelfen pro salute patriae. Die gegen Messena zu Felde liegenden Spartaner, die geschworen hatten, vor Beendigung des Krieges nicht nach Hause zu kehren, schickten Jünglinge, die diesen Eid nicht geschworen hatten, mit Empfehlungsschreiben an ihre Weiber und mit der Bitte, die Republik nicht aussterben zu lassen. Und die guten Weiber, von gleichem Patriotismus beseelt, machten den Empfehlungen alle Ehre. Sie lieferten die Parthenier oder Jungfernkinder, die man aber später zu viel neckte, und so zogen sie ab und gründeten Tarent in Unteritalien. - (kjw)

Patriotismus (3) SAMSTAG, 26. AUGUST 1944  Gestern abend und heute große patriotische Feierlichkeiten: die große Glocke von Notre-Dame in vollem Geläut, Truppenvorbeimarsch, Übergabe von Fahnen, denen, die während der Besetzung versteckt gehalten waren, und denen der neuen Militärverbände, Rede des Generals de Gaulle, Übergabe des Croix de la Libération an die Stadt von Paris, Beflaggung, Musik, Vaterland, Befreiung, Sieg usw. usw., der Ruhm unserer Fahnen, wie gestern meine Kartoffelhändlerin Marise zu mir sagte. Ich sage es, ohne mich herauszustreichen oder mir etwas darauf zugute zu tun: nichts von alldem berührt, interessiert mich, wühlt das geringste in mir auf. Mir ist wieder danach, mich darüber lustig zu machen wie über einen reinen Mummenschanz oder ein Schauspiel für Genasführte. Dieser Fetischismus mit der Fahne? Wie kann man nur ein Stück Stoff verehren. Für mich genauso abwegig wie die Leute, die vor einer religiösen Statue niederknien.

Ich habe vor nichts Angst gehabt, mich vor nichts gefürchtet. Ich bin ruhig zu Hause geblieben, als andere sich davonmachten. Ich habe weiterhin mein Gartentor nachts unverschlossen gelassen. Ich habe kein einziges meiner Tiere geopfert. Die geliebten Wesen, die ich verloren habe, sind, wenn auch eines unerwarteten, so doch eines natürlichen Todes gestorben. Vor zwei Jahren habe ich sogar die Katze Minette aufgenommen, die im Luxembourg-Park ausgesetzt war und die ich jetzt habe. Meine Vernunft, meine geistige Freiheit und meine offene Redeweise habe ich uneingeschränkt beibehalten, auch den beiden deutschen Offizieren gegenüber, mit denen ich in Verbindung gestanden habe, auch denjenigen meiner Bekannten gegenüber, die anders dachten als ich; wenn die Gelegenheit sich bot, habe ich mich höflich, aufmerksam, verbindlich zu «Feinden» verhalten, die wenigstens diese Erinnerung an einen Franzosen behalten werden. Ich habe keinen gemeinen Gedanken gedacht, keine gemeine Tat begangen. Das ist schon gar nicht so wenig. - (leau)

Patriotismus (3)   Marat hatte mehrere wissenschaftliche Werke geschrieben und hoffte auf Aufnahme in die königliche Akademie, die Lavoisier damals leitete. Dieser hatte enthüllt, wie inhaltlos Marats Arbeiten waren. Marat kochte vor Wut und wartete auf den richtigen Augenblick, wo der Patriotismus zu einer nützlichen Deckmantel für Schurkereien wurde. Im Januar 1791 ließ er in L'Ami du Peuple (»Der Volksfreund«) seinen Angriff vom Stapel:

Ich beschuldige dich, Coryphäus der Scharlatane [Coryphäus bedeutet »Oberster« und ist im klassischen griechischen Drama der Führer des Chors), Generalfarmer, Verwalter des Schießpulvers ... Nur zu denken, daß dieser verachtenswerte kleine Mann, der sich eines Einkommens von vierzigtausend Livres erfreut, keinen anderen Grund für seinen Ruhm hat als die Tatsache, daß er Paris ins Gefängnis gebracht hat, mit einer Mauer, die die Armen dreißig Millionen gekostet hat... wäre Grund genug, ihn am nächsten Laternenpfahl aufzuknüpfen.

- Stephen Jay Gould: Bravo, Brontosaurus. Die verschlungenen Wege der Naturgeschichte. Hamburg 1994

Patriotismus (4)

Patriotismus (5)   Eine spanische Buhlerin, der Philipp IV. vier Pistolen gibt, weil dies in der Etikette so vorgeschrieben ist, gewohnt, für ihre Gunstbezeigungen hundert Dublonen zu empfangen, legt Mannskleider an, bittet um Audienz und wirft dem König einen Beutel mit vierhundert Pistolen hin: „So bezahle ich meine Mätressen." - Noch eigener und komischer äußerte sich der spanische Patriotismus im Sukzessionskriege, wo die Freudenmädchen Madrids sich nach dem portugiesischen Lager verfügten und sechstausend Soldaten zu Tode - pfefferten.   - (kjw)

Patriotismus (6)  Jetzt wo ich fertig bin, kann ich doch nicht die ganze Zeit auf dem Sitz bleiben. Die Müdigkeit hat Grenzen. Die Müdigkeit hat Schranken. Mut. Mut. Ich muß mutig sein. Wie eine echte Engländerin, Untertanin des britischen Empire. O Gott, o mein König, es heißt energisch sein. Ich stehe auf. Ich ziehe die Wasserspülung. Nein. Ich ziehe nicht. Das macht zuviel Lärm. Macht die Leute aufmerksam. Energie bedeutet nicht Unvorsichtigkeit. Es besteht ein deutlicher Unterschied zwischen beiden. Nach der Logik John Stuart Mills jedenfalls. Gewiß. Wahrscheinlich. Aber es ist nicht sauber, nicht die Wasserspülung zu bedienen, nachdem man . . . Ja. Nein. In der Tat. Es ist nicht sauber. Es ist nicht hygienisch. Es ist nicht britisch. Aber ich spüre, daß sie da sind. Mir scheint, daß ich sie sprechen höre. Die Unmenschen. Die Aufständischen. Wüßten sie denn überhaupt, was dieses Wassergeräusch bedeutet, wenn sie es vernähmen ? Sie wüßten es nicht. Sie kommen wohl alle aus den Vorstädten, wo es keine Hygiene gibt. Vielleicht sind sogar welche drunter, die aus der Connemara kommen, sogar welche, die von den Araninseln oder den Blasketinseln kommen, wo man nicht englisch spricht, wo sie immer noch ihren keltischen Jargon reden, ohne die Toiletten unserer modernen Empirezivilisation zu kennen.  - (sally)

Staat
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