Passierschein   Diese Art Krieg war ihm unbekannt; und obwohl sie nach einem ersten Blick den Mann kein zweites Mal mehr ansah, wogegen seine hellen, hervorstehenden Augen nicht einen Moment lang von ihrem Gesicht oder ihrer Gestalt wichen, hätte er nicht entscheiden können, ob in Wirklichkeit der Angriff bei ihm lag oder bei ihr.

Die beiden glichen einander und hätten Bruder und Schwester sein können. Sie fürchteten sich offensichtlich voreinander. Als das Verhör voranschritt, schwitzte der Deutsche vor Angst, und sie erbleichte, doch nichts hätte die beiden auseinanderhalten können. Frederick war sicher, daß beide einander hier zum ersten Mal begegneten; dennoch war es eine alte Fehde, die im Salon der Villa ausgetragen werden sollte. War dies, fragte er sich, ein Kampf zwischen nationalen Erbfeinden, oder mußte er weiter zurückgehen, und tiefer hinab, um dessen Ursprung zu entdecken?

Der junge Deutsche begann mit der Feststellung, daß er es jetzt kaum mehr der Mühe wert finde, nach Paris weiterzuziehen. Er fragte sie, wie sie in ihre gegenwärtige Gesellschaft geraten sei, und ob sie ihre Genossen für gefährlicher halte als sich selbst? Sie antwortete ihm kurz angebunden, mit erhobenem Kinn. Frederick war sich bewußt, daß sein eigenes Schicksal und das seiner Gefährten jetzt in ihrer Hand Jag. Er dachte, daß kein menschliches Wesen, und am allerwenigsten dieser junge Krieger, sich lange ihre Miene und ihren Ton gefallen lassen würde, und doch pries er in seinem Herzen die prächtige Zurschaustellung von Impertinenz, die sie ihm bot. Es war unvermeidlich, daß der Deutsche schließlich dicht an sie herantreten mußte; als er ihr fragend ein Papier vorhielt, sprach er ihr direkt ins Gesicht. Da zog sie, mit einer eleganten Bewegung, den umfänglichen Saum ihres Kleides zurück, damit er nicht in Berührung mit ihm komme.

Er brach mitten im Satz ab und rang nach Luft. »Ich habe, Madame«, sagte er sehr langsam, »nicht die Absicht, Ihr Kleid zu berühren. Ich mache Ihnen vielmehr einen Vorschlag. Ich werde für Sie und Ihre Freunde den Passierschein nach Luxemburg ausstellen, den Sie von mir wünschen. Sie können in einer halben Stunde kommen und ihn abholen. Aber Sie werden ohne dieses Kleid kommen müssen, das Sie, zu Recht, mit solcher Mühe vor meiner Berührung zu schützen suchen. Sie werden, sage ich Ihnen, um Ihren Passierschein zu holen, im Gewände der Göttin Venus kommen müssen. Dies ist«, fügte er nach einem Moment atemlosen Schweigens hinzu, »auf jeden Fall ein schönes Angebot, Madame.« Bei seinen eigenen Worten stieg ihm plötzlich dunkle Röte ins Gesicht.

Frederick stand einen Moment lang das Herz still, vor Abscheu und Entsetzen, und vor Trauer. Diese Forderung war eine Verzerrung seiner eigenen schönen Phantasien um Heloise. Die Lästerung machte aus der Welt eine Stätte ekelerregender Gemeinheit und aus ihm einen Komplizen. Was Heloise selbst anging, so verwandelte die Beleidigung sie, als sei sie von ihr in Brand gesteckt worden. Sie wandte sich dem Beleidiger voll zu, und nie hatte Frederick sie so sprühend von Leben und Arroganz gesehen; sie schien ihrem Widersacher geradezu ins Gesicht lachen zu wollen. Der Schmutz der Welt, dachte er mit tiefer, entzückter Dankbarkeit, berührte sie nicht: sie stand hoch darüber. Nur für einen Moment hob sich ihre Hand zum Kragen ihrer Mantille, als müsse sie sich, erstickend unter der Woge ihrer Verachtung, von ihm befreien. Doch schon im nächsten Moment stand sie wieder reglos da; ihre Hand sank herab und mit ihr das Blut aus ihren Wangen; sie wurde sehr bleich. Sie wandte sich ihren Mitgefangenen zu und ließ langsam ihren Blick über deren weiße, entsetzte Gesichter gleiten.   - Tania Blixen, Wintergeschichten. Reinbek bei Hamburg 1989

 

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