Parapsychologen   Als Slothrop im Herbst 1944 von der «Weißen Visitation» - wo ihn viele freilich schon als das berühmte Baby Tyrone gekannt hatten - entdeckt wurde wie eine Neue Welt, glaubten verschiedene Leute, ganz verschiedene Dinge entdeckt zu haben.

Roger Mexico hält das Ganze für eine bizarre Laune der Statistik. Dennoch spürt er, wie die Fundamente dieser Disziplin erzittern, und zwar ein wenig tiefer, als bloße Bizarrerie reichen sollte. Bizarr, bizarr, bizarr- allein das Wort: die weiße Endgültigkeit seines Klangs, die Schärfe, mit der das Doppel-r am Gaumensegel sägt, als wolle es tiefer dringen, ins andre Reich, jenseits der Null. Natürlich hält das Gaumensegel. Aber man merkt doch, man begreift verstandesmäßig, wohin die Reise gehen sollte.

Rollo Groast vermutet Hellsehen. «Slothrop ist in der Lage, vorherzusagen, zu welchem Zeitpunkt eine Rakete an einem bestimmten Ort niedergehen wird. Sein Überleben bis zum heutigen Tag belegt, daß er über Vorausinformationen verfügt, die es ihm erlauben, gefährdete Gebiete zum Zeitpunkt des Einschlags zu meiden.» Dr. Groast ist unschlüssig, wie oder ob Sex mit der Sache zu tun hat.

Edwin Treacle dagegen, der freudianischste unter den Para-Psychologen vor Ort, hält Slothrops Begabung für Psychokinese. Kraft seines Geistes verursacht Slothrop, daß die Raketen dort einschlagen, wo sie einschlagen. Er mag sie vielleicht nicht gerade physisch über den Himmel kicken, aber vielleicht führt er die elektrischen Signale im Leitsystem der Rakete irgendwie in die Irre, Wie auch immer, Sex jedenfalls hat in Dr. Treacles Theorie eine ganze Menge mit der Sache zu tun: «In seinem Unterbewußtsein hat Slothrop den Wunsch, jede Spur des sexuellen Gegenübers auszutilgen - das er auf seinem Stadtplan übrigens bezeichnenderweise durch einen Stern symbolisiert, jenes anal-sadistische Emblem des Schulerfolgs, das die ganze amerikanische Grundschulbildung beherrscht...»  

Es ist diese Karte, die in ihren Köpfen herumspukt, die Karte, auf der Slothrop seine Eroberungen markiert hat. Die Sterne fallen in einer Poisson-Verteilung, genau wie die Raketeneinschläge auf Roger Mexicos Karte des robot blitz.

Aber es geht um mehr als nur um die Verteilung: die beiden Muster haben sich dazu noch als identisch erwiesen! Sie stimmen exakt überein, Quadrat für Quadrat. Man hat die Dias, die Teddy Bloat von Slothrops Stadtplan aufgenommen hat, auf Rogers Karte projiziert und gesehen, wie die beiden Bilder, Mädchensterne und Einschlagskreise, miteinander verschmolzen.

Entgegenkommenderweise hat Slothrop die meisten seiner Sterne datiert. Und immer kam der Stern vor dem entsprechenden Einschlag. Die Rakete folgte nach frühestens zwei, spätestens zehn Tagen. Im Schnitt betrug die Verzögerung 4,5 Tage.

Nehmen wir einmal an (Pointsmans Überlegung), daß Strohes Stimulus X in irgendeinem lauten Geräusch bestanden hat, genau wie beim Watson-Rayner-Experiment. Nehmen wir weiter an, daß in Slothrops Fall der Erektionsreflex nicht vollständig gelöscht worden ist. Unter diesen Bedingungen wäre es natürlich plausibel, wenn er bei jedem lauten Geräusch einen stehen hätte, vorausgesetzt, dieses Geräusch kündigte sich durch ähnliche, ominöse Vorboten an, wie er sie aus Jamfs Labor kannte -wie die Hunde sie noch heute in Pointsmans Labor kennenlernen. Das alles deutet auf die V 1: Jeder von diesen Brummern, der ihm nahe genug kommt, um ihn aufzuscheuchen, müßte ihm auch eine Erektion verpassen: das Knattern des Triebwerks, das immer lauter und lauter wird, das Aussetzen der Zündung, Stille, wachsende Spannung-dann die Explosion. Boing-ein Ständer! Aber geschnitten! Tatsächlich kriegt Slothrop seine Erektionen immer dann, wenn die Folge der Ereignisse umgekehrt abläuft. Zuerst die Explosion, dann das Geräusch des Anflugs: die V 2.

Dennoch muß der auslösende Reiz auf irgendeine Weise die Rakete sein, ein astrales Vorzeichen vielleicht, ein Raketendouble, das sich Slothrop im Prozentsatz der lächelnden Gesichter in einem Autobus offenbart, auf mysteriösen Wegen hormonelle Zyklen steuert - was bringt bloß diese kleinen Flittchen dazu, daß sie's ihm umsonst besorgen? Gibt es Fluktuationen auf dem sexuellen Markt, in Pornographie oder Prostitution, die womöglich bis auf die Börsenkurse durchschlagen, ohne daß wir Saubermänner davon die geringste Ahnung haben? Sind es Meldungen vom Kriegsschauplatz, die zwischen ihren hübschen Schenkeln kribbeln, oder hängt die Begierde, direkt oder umgekehrt proportional, von der realen Chance eines jähen Todes ab? Wo zum Henker steckt der Schlüssel? Er muß direkt vor unserer Nase baumeln, aber wir haben nicht die Sinne, ihn zu sehen... - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

 

Psychologe Unerklärliches

 

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