aarungssystem In den siebziger Jahren fiel Roger Short, einem britischen Biologen, der später nach Australien ging, eine Besonderheit im Zusammenhang mit der Anatomie der Menschenaffen auf: Schimpansen haben riesige Hoden, Gorillas winzige. Obwohl ein Gorilla viermal so schwer ist wie ein Schimpanse, wiegen seine Hoden nur ein Viertel dessen, was Schimpansenhoden wiegen. Short machte sich Gedanken darüber, was das zu bedeuten habe, und vermutete, es könnte mit dem Paarungssystem in Zusammenhang stehen. Nach Short sind die Hoden um so größer, je ausgeprägter die weibliche Polygamie ist.
Der Grund dafür liegt auf der Hand. Paart sich ein Weibchen mit mehreren Männern, dann konkurrieren die Spermien aller Männchen darum, seine Eier zuerst zu erreichen. Die einfachste Möglichkeit, das Rennen zu eigenen Gunsten zu beeinflussen, besteht darin, mehr Spermien zu produzieren und die Mitbewerber zu überfluten. (Es gibt auch andere Möglichkeiten: Einige Kleinlibellen verwenden zum Beispiel ihren Penis, um Spermien herauszuschaffen, die zuerst dort waren. Hunde und Australische Springmäuse »verankern« ihren Penis nach der Kopulation im Weibchen und können sich eine Zeitlang nicht befreien, wodurch sie andere daran hindern, zum Zuge zu kommen. Beim Mann kommt es offenbar zur Produktion größerer Mengen defekter »Kamikaze«-Spermien, die eine Art Pfropf bilden, der die vaginale Pforte für spätere Eindringlinge verschließt. Wie wir gesehen haben, leben Schimpansen in Gruppen, in denen sich mehrere Männchen ein Weibchen teilen, so daß die Fähigkeit, häufig ejakulieren und dabei große Spermienmengen produzieren zu können, äußerst vorteilhaft ist, denn wer sie besitzt, hat die größte Chance auf eine Vaterschaft. Dieses Bild stimmt quer durch alle Affen- und Nagerarten. Je mehr sie sich, wie der Gorilla, eines sexuellen Monopols sicher sein können, um so kleiner sind ihre Hoden. Wenn sie in Gruppen mit vielen Männchen leben, sind die Hoden um so größer, je höher die Promiskuität ist.
Es sah ganz so aus, als hätte Short damit zufällig einen anatomischen Hinweis
gefunden, der das Paarungssystem einer Art erklärt: Große Hoden sind gleichbedeutend
mit polygamen Weibchen. Ob man es verwenden könnte, um das Paarungssystem einer
bisher nicht untersuchten Art vorherzusagen? Man weiß zum Beispiel nur sehr
wenig über die Lebensgemeinschaften von Walen und Delphinen, wenngleich - aufgrund
des Walfangs - über ihre Anatomie sehr viel bekannt ist. Selbst wenn man ihrer
Größe Rechnung trägt, so sind die Hoden bei allen Walarten riesenhaft. Die Hoden
eines ordentlichen Glattwals wiegen mehr als eine Tonne und machen zwei Prozent
seines Körpergewichts aus. Dem Affenschema folgend ließe sich nunmehr mit gutem
Grund vorhersagen, daß Wal- und Delphinweibchen in erster Linie nicht monogam
leben, sondern sich mit mehreren Männchen paaren. Soweit man inzwischen weiß,
ist dies der Fall. Das Paarungssystem des Großen Tümmlers scheint aus dem gewaltsamen
Zusammentreiben fruchtbarer Weibchen durch wechselnde Koalitionen von Männchen
zu bestehen, wobei ein Weibchen gelegentlich sogar von zwei Männchen gleichzeitig
begattet wird - ein Fall von Spermienkonkurrenz, der alles in den Schatten stellt,
was man aus der Schimpansenwelt kennt. Pottwale leben wie Gorillas in Harems:
Ihre Hoden sind vergleichsweise klein. Ein Männchen ist alleiniger Besitzer
des Harems, hier fehlt die Spermienkonkurrenz. -
Matt Ridley, Eros und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität. München
1995
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