Orthodoxie  Er kam in Harlem in eine Dusche und erreichte naßglänzend das Shtetel von Washington Heights. Dort mußte er auf einen anderen Bus warten, mitten im Gewimmel orthodoxer Juden, die er mit einem gewissen Schauder betrachtete, denn einen leibhaftigen Orthodoxen hatte er noch nie gesehen. In der Morgue waren diese Leute die reinste Plage, denn sie mußten unverzüglich obduziert werden, damit ihre Verwandten sie noch vor Sonnenuntergang unter die Erde bringen konnten. Dr. Hake hatte sogar schon gehört, daß sie in die Morgue einbrachen, um ihre Toten mit den traditionellen zwölf Litern Wasser zu waschen und nach der strengen Kleidervorschrift, die für Dr. Hake keinerlei ästhetischen Sinn hatte, anzuziehen, ehe ihnen jemand zuvorkam. Zum Beispiel durfte das Sterbekleid keinerlei Knoten auf weisen. Nur die Moslems fand Dr. Hake noch schlimmer. Sie verlangten, daß die Gesichter der Toten sogar während der Autopsie noch nach Osten zeigten, was letzten Endes bedeutete, daß sie auf den Verkehrsstau auf dem East River Drive blickten, als ob das nicht ein Synonym für die Hölle wäre. Da waren ihm die orthodoxen Juden immer noch lieber.   - Irene Dische, Fromme Lügen. Frankfurt am Main 1989
 
 

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