rientalin  Diese Perserin — phantasierte er — kann jeden Tag in dein Haus kommen, jeden Tag zurückkommen aus dem Haus eines anderen. Und ich werde nie wissen, woher sie kommt, da sie sich nie eine Einzelheit entschlüpfen lassen wird, die mich ahnen ließe... Diese unentzifferbare Orientalin wird mir nie die Hände, die Schuhe, die schöne Handlungsweise von irgendwem beschreiben. Ich werde niemals etwas von ihrem Geschlechtsleben wissen: Ich werde niemals die Eifersucht auf das Vergangene fühlen, ich werde nie befürchten müssen, daß während meines Interregnums in ihrem Herzen (oder in ihrem Nervensystem) sie sich anderen hingibt, denn ich werde nicht wissen, ob sie eine wollüstige Männerverbraucherin ist oder das einzige Exemplar einer treuen Frau, nach einem einzigen Modell gefertigt. Ich habe solche gekannt — überlegte Santelso —, die, während sie mit mir im Bett lagen, die holde Naivität besaßen, die anatomischen Einzelheiten, die physische Widerstandskraft, die wiederholte Tüchtigkeit anderer zu schildern.

Diese Frau ist eine Neuheit in meinem Leben. Ich kenne ihre Ideen über die Liebe nicht, über die Lust, über die Liebe fürs Geld, über die derLeidenschaft unterworfenen Liebe, über den feinen Genuß an sich.

Ich weiß nicht, wer sie ist. Fräulein? Gattin? Witwe? Lebt sie von Renten? Ist es eine Hoteldiebin? Wird sie von jemand ausgehalten? Hat sie einen reichen Kaufmann ihres Landes umgebracht? Ist sie die Tochter von Räubern? Oder stammt sie von irgendeinem Satrapen ab? Oder von einem Zauberer? War einer ihrer Vorfahren General bei Marathon? Oder Admiral in Salamis? Produziert ihr Vater wohl Weine von Schiras? Oder reist er mit einer Karawane? Oder ist er ein Kalif?

Ihr erster Liebhaber? Ein bärtiger Ritter, mit einer alten Damaszenerflinte bewaffnet, der sie auf seinem weißen Pferd entführte und nach einem tollen Ritt durch die sengende Wüste sie vielleicht bei einer Oase vergewaltigte, zwischen aromatischen Kräutern, unter einer schwarzen Palme, die sich dunkel von der unendlichen Bläue des Himmels abhob, von dem die Sterne wie mit dem Tropfenzähler das Licht tropfen ließen.

Oder ist sie eine aus dem Harem geflüchtete Frau, die mit der mitleidigen Hilfe eines Großeunuchen entkam, dem man nachher, um ihm eine Lektion zu erteilen, auch noch den Kopf abschnitt?

Hat sie wohl in ihrem Land als Kurtisane gelebt? Hat sie in allen Bordellen von Isfahan, Täbris und Abukir gelebt, wo den Professionistinnen der Libido eine mit Rosen bestreute Matte zum Brautbett dient?

Oder ist sie etwa — nichts ist unmöglich — eine gute Ehefrau, die jeden Morgen Oschen anruft, ihn, der den Überfluß der fruchtbaren Keime gibt, und die während des Liebesorgasmus die Formel stammelt: «Euch befehle ich diesen Samen, o Sapondamad, o Tochter des Ormuzd?»

Eine Perserin! seufzte Santelso. Man sagt, es seien die schönsten Frauen der Welt. - Pitigrilli, Ihre Sprache und die meine. In: P., Betrüge mich gut. Reinbek bei Hamburg 1988 (rororo 12179, zuerst 1922)

 

Frau Orient

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme
Frau, orientalische