Organfarbe  DR. MIELE, DER RIESE, hatte einen Kunstfehler auf dem Seziertisch. Er zündete sich eine frische Zigarre an, setzte sich, zupfte die Gummischürze zurecht und wandte sich über die Schulter an Dr. Hake: »Sagen Sie mal, Donalronald, was war das noch für ein Gedicht, das Sie für Ihre Publikation verfaßt haben? Das über die Farben der Organe. Ziemlich sentimental, aber sonst ganz gut.«

Dr. Hake hatte eine zerstückelte Leiche vor sich. Keine Chance, sich hinzusetzen. Er stand über den Seziertisch gebeugt, auf dem die Teile aufgereiht lagen. Miele hatte ein unverschämtes Glück, daß er so sitzen konnte. Dr. Hake deklamierte:

»Unter der Haut glüht es
im dunkelsten Innern.
Wo die Gärten der Physis schimmern,
in prunkvollen Farben blüht es
blindlings, blau, scharlachrot,
lila wie Herbstzeitlosen,
wie bengalische Rosen.
Pracht, die im Dunkeln loht.

Wenn ihr letzter Tag anbricht,
tritt sie prunkvoll ans Licht.«

Ans Licht!

»Genau!« sagte Dr. Miele und machte seinen Einschnitt.  - Irene Dische, Fromme Lügen. Frankfurt am Main 1989

 

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