ptik, doppelte   Teiresias, der blinde Seher, besaß den Vorteil eines einzigartigen Schicksals: er hatte sieben Jahre als Frau und sieben Jahre als Mann gelebt.

Er hat eine doppelte Sichtweise. Eine doppelte Sichtweise, die anders beschaffen ist als das, was man normalerweise unter einer doppelten Sichtweise versteht: er sieht nicht nur als Seher eine gewisse Zukunft. Er sieht auch von beiden Seiten aus. Er sieht von der Seite des Männlichen und von der Seite des Weiblichen aus.

In dem Zank ging es um die Frage nach dem Genuß: „Wer, Mann oder Frau, genießt am meisten?". Offensichtlich konnten weder Zeus noch Hera die Frage beantworten, es sei denn, sie gäben ihre Antwort, eine Antwort, die ungenügend wäre, denn es muß gesagt werden, daß das Altertum mit den Möglichkeiten der Identifikation bescheidener umging als unsere Zeit. Deshalb hatte man Teiresias gerufen, der Einzige, der wußte „welcher von beiden". Und Teiresias antwortete: „Wenn der Genuß in zehn Teile geteilt werden könnte, so würde die Frau davon neun haben." - Hélène Cixous, nach: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Hg. Karlheinz Barck u.a. Leipzig 1991

Optik, doppelte (2)   «Ich trinke und ich richte mich zugrunde. Ich weiß es. Ich richte mich zugrunde, aber ich sehe alles rosig. Mir genügt es, alles rosig zu sehen. Und dann habe ich, indem ich die Welt betrachte, den Eindruck, als sei sie wirklich so, wie die Optimisten mich gern glauben machen wollen, daß sie ist.»

«Und wenn du nicht getrunken hast?» fragte ihn Tito.

«Wenn ich nicht getrunken habe... Machen wir eine Parenthese: die Gläubigen, die Mystiker sehen, wenn sie ihren Blick auf die Welt werfen, keine schönen und aufreizenden Frauen, sie sehen nicht genußsüchtige Männer; sie sehen Skelette, sehen Schädel mit tiefen Augenhöhlen, Kinnladen ohne Zunge, Zähne ohne Zahnfleisch, unwürdig kahle Köpfe, Füße, die aus unregelmäßigen Würfeln zusammengesetzt scheinen, langgestreckte Hände, die aufgereihte Pfeifenmundstücke zu sein scheinen. Ich hingegen, wenn ich die Männer anschaue, sehe Wirbelsäulen, Rückenmark, von dem Nervenverzweigungen ausgehen.»

«Dies gilt für die Männer», meinte Tito, «aber die Frauen?»

«Die Frauen? Wandelnde Uterusse. Nichts weiter. Ich sehe wandelnde Uterusse und Männer, die ihnen hypnotisiert folgen und von Ruhm, Idealen, Menschlichkeit durcheinanderreden... Und so trinke ich!»   - Pitigrilli, Kokain. Reinbek bei Hamburg 1988 (rororo 12225, zuerst 1922)

 

Perspektive Verdoppelung

 

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