Der polnische Parteivorstand gräbt schließlich Jahre zurück liegende Jugendsünden wieder aus, um sich von Radek, der bereits bei der Spaltung der polnischen Sozialdemokraten von 1911 zur Minderheit des sogenannten Warschauer Flügels gehörte, endgültig zu trennen.
Eigentlich müßte Rosa in Radek, der sich in der SPD zur Gruppe der Radikalen schlägt, einen Verbündeten sehen, aber sein stets zur Schau gestellter Zynismus stößt sie ab. Sie traut ihm auch Opportunismus zu. 1912 schreibt sie einmal an Clara Zetkin: »Radek gehört zum Typus Dirne, wir können mit ihm noch manches erleben; es ist deshalb besser, ihn sich vom Leibe zu halten.«
Ende 1914, als Radek, der immer noch österreichischer Staatsbürger ist, die Einberufung in die k. u. k. Armee droht, siedelt er in die Schweiz über und schließt sich eng an Lenin an, der ihn wahrscheinlich für gewisse Aufgaben brauchbar gefunden hat, im übrigen aber gesagt haben soll, ihn überkomme nach jedem Gespräch mit Radek das Gefühl, sich von oben bis unten waschen zu müssen.
Im plombierten Eisenbahnwagen reist Radek mit Lenin durch Deutschland und übernimmt in Stockholm die Leitung der eben erst gegründeten bolschewistischen Außenstelle, die die Verbindung zwischen der Revolution in Rußland und den revolutionären Kräften im deutschen Proletariat herstellen und aufrechterhalten soll.
Gleich nach der Oktoberrevolution fährt Radek nach Rußland und wird Mitglied der Bolschewiki.
Zunächst ist er Leiter der Presseabteilung in Trotzkis Kommissariat für Auswärtige Angelegenheiten; später - nach dem Friedensschluß von Brest-Litowsk - wird er Chef der Mitteleuropaabteilung. Hauptaufgabe beider Behörden ist die Förderung der Revolution im Ausland.
An seine Frau schreibt Radek aus Berlin: »Mit Rosa und Leo haben wir von Anfang an den persönlichen Dreck begraben.« Was Rosa angeht, so dürfte ihr starker innerer Vorbehalt gegenüber Radek fortbestanden haben. Paul Levis, wenngleich aus späterer Sicht getroffene, Feststellung mag stimmen: »Für Karl Radek hatte Rosa Luxemburg - ich würdige das heute mehr als damals - nur ein Gefühl: Ekel.«
Das rührt wohl auch daher, daß mit ihm so etwas wie ihr Gegentyp auftritt.
Sie ist idealistisch, moralisch, opferbereit, Radek ist ein »brillanter Kopf«,
aber charakterlos; »zu klug, um heroisch oder anständig zu sein«, wie Franz
Borkenau schreibt. Radek selbst hat erklärt: »Im Grund genommen ist eben jedes
Prinnzip nur halbrichtig... wir arbeiten daher eigentlich gar nicht nach einer
›Theorie‹, haben auch eigentlich keine ›Ideologie‹, sondern nur ein Ziel.«
- Frederick Hetmann, Rosa L. - Die Geschichte der Rosa Luxemburg und ihrer
Zeit. Frankfurt am Main 1979
- Matt Ridley,
Eros und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität. München 1995 (zuerst
1993)
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