pportunismus  Karl Sobelsohn ist 1885 in Lemberg in Galizien geboren. Seine Muttersprache ist polnisch, seine Staatsbürgerschaft zunächst österreichisch. Der Vater ist Postbeamter und stirbt früh, die Mutter übersiedelt mit den Kindern nach Tarnow und verdient als Lehrerin ihren Lebensunterhalt. Nach seinem Jurastudium (1902/03) widmet sich der junge Mann ganz der Arbeit in der SDKPiL. Mit Jogiches kommt er 1904 in der Schweiz in Kontakt. 1905 kehrt er über Berlin nach Warschau zurück. Zu dieser Zeit betrachtet er Leo Jogiches als seinen Mentor in der Partei. Er liest den Roman »Die Arbeiten des Sisyphus« von Stefan Zeromski, der vom Aufbegehren polnischer Schüler in einem russischen Gymnasium gegen die zwangsweise Russifizierung erzählt. Andrzej Radek ist in diesem Buch der Anführer der radikalen Schülerorganisation, der mit großer Redegewandheit die Verknüpfung von polnischem Nationalismus und proletarischer Revolution vertritt. Dieser Radek beeindruckt Sobelsohn derart, daß er sich von nun an selbst Radek nennt. In Deutschland taucht er zum erstenmal 1908 auf. Als man ihm in seinem Heimatland Polen die Veruntreuung von Parteigeldern zur Last legt, gerät er zum ersten Mal ins Zwielicht. Er läßt sich zunächst in Berlin nieder, wo sich zu dieser Zeit mit Leo, Rosa und Julian Marchlewski die Führungsgruppe der SDKPil aufhält.

Der polnische Parteivorstand gräbt schließlich Jahre zurück liegende Jugendsünden wieder aus, um sich von Radek, der bereits bei der Spaltung der polnischen Sozialdemokraten von 1911 zur Minderheit des sogenannten Warschauer Flügels gehörte, endgültig zu trennen.

Eigentlich müßte Rosa in Radek, der sich in der SPD zur Gruppe der Radikalen schlägt, einen Verbündeten sehen, aber sein stets zur Schau gestellter Zynismus stößt sie ab. Sie traut ihm auch Opportunismus zu. 1912 schreibt sie einmal an Clara Zetkin: »Radek gehört zum Typus Dirne, wir können mit ihm noch manches erleben; es ist deshalb besser, ihn sich vom Leibe zu halten.«

Ende 1914, als Radek, der immer noch österreichischer Staatsbürger ist, die Einberufung in die k. u. k. Armee droht, siedelt er in die Schweiz über und schließt sich eng an Lenin an, der ihn wahrscheinlich für gewisse Aufgaben brauchbar gefunden hat, im übrigen aber gesagt haben soll, ihn überkomme nach jedem Gespräch mit Radek das Gefühl, sich von oben bis unten waschen zu müssen.

Im plombierten Eisenbahnwagen reist Radek mit Lenin durch Deutschland und übernimmt in Stockholm die Leitung der eben erst gegründeten bolschewistischen Außenstelle, die die Verbindung zwischen der Revolution in Rußland und den revolutionären Kräften im deutschen Proletariat herstellen und aufrechterhalten soll.

Gleich nach der Oktoberrevolution fährt Radek nach Rußland und wird Mitglied der Bolschewiki.

Zunächst ist er Leiter der Presseabteilung in Trotzkis Kommissariat für Auswärtige Angelegenheiten; später - nach dem Friedensschluß von Brest-Litowsk - wird er Chef der Mitteleuropaabteilung. Hauptaufgabe beider Behörden ist die Förderung der Revolution im Ausland.

An seine Frau schreibt Radek aus Berlin: »Mit Rosa und Leo haben wir von Anfang an den persönlichen Dreck begraben.« Was Rosa angeht, so dürfte ihr starker innerer Vorbehalt gegenüber Radek fortbestanden haben. Paul Levis, wenngleich aus späterer Sicht getroffene, Feststellung mag stimmen: »Für Karl Radek hatte Rosa Luxemburg - ich würdige das heute mehr als damals - nur ein Gefühl: Ekel

Das rührt wohl auch daher, daß mit ihm so etwas wie ihr Gegentyp auftritt. Sie ist idealistisch, moralisch, opferbereit, Radek ist ein »brillanter Kopf«, aber charakterlos; »zu klug, um heroisch oder anständig zu sein«, wie Franz Borkenau schreibt. Radek selbst hat erklärt: »Im Grund genommen ist eben jedes Prinnzip nur halbrichtig... wir arbeiten daher eigentlich gar nicht nach einer ›Theorie‹, haben auch eigentlich keine ›Ideologie‹, sondern nur ein Ziel- Frederick Hetmann, Rosa L. - Die Geschichte der Rosa Luxemburg und ihrer Zeit. Frankfurt am Main 1979

Opportunismus (2)   Männer sind in ihrer Phantasie und in ihrem Innersten der Promiskuität und dem Opportunismus ergeben. Echte Opportunisten sind jedoch nicht besonders wählerisch - so würde man annehmen; und doch achten Männer auf das Aussehen einer Frau - mehr noch als Frauen auf das Aussehen von Männern. Ein Sportwagen und ein Spesenkonto können für eine Frau den Frosch zum Prinzen machen, aber auch die reichste Frau kann es sich nicht leisten, häßlich zu sein (in unserer Zeit der plastischen Chirurgie verfügt sie allerdings über gewisse Mittel, ihrer Häßlichkeit abzuhelfen). Ein Mann, der eine Affäre in Erwägung zieht, müßte sich nicht auf das beschränken, was er selbst als gutaussehende Frau empfände - aber er tut es in der Regel. Das ist einigermaßen ungewöhnlich. Ein Gorillamännchen oder ein Beifußhahn entziehen sich der Paarung mit einem Weibchen nicht aus Gründen ihrer Erscheinung. Sie ergreifen jede sich bietende Gelegenheit - unabhängig vom Aussehen der Angebeteten. - Matt Ridley, Eros und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität. München 1995 (zuerst 1993)
 
 

Beweglichkeit Gelegenheit

 

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