pfer, liebes
»Wenn ich zum Beispiel einen Mann völlig in Ruhe lasse - ich
verhafte ihn weder, noch belästige ich ihn, aber er soll zu jeder Stunde
und zu jeder Minute wissen oder wenigstens argwöhnen, daß ich alles
weiß, bis in die letzte Einzelheit; daß ich ihn Tag und Nacht beobachte,
ihn unermüdlich verfolge; und so halte ich ihn bewußt in ewigem Argwohn
und ewiger Angst -, dann wird er, weiß Gott, irre. Er kommt vielleicht
von selbst zu mir oder stellt irgend etwas an, das dann wirklich so
schlüssig ist, wie zweimal zwei macht vier, und das die Sache sozusagen
mit mathematischer Sicherheit aufgehen läßt. Das ist dann sehr angenehm,
mein Herr. Das kann einem einfachen Bauern passieren, aber auch
unsereinem, einem klugen, modernen Menschen, der zudem noch eine ganz
bestimmte Entwicklung hinter sich hat, davon bin ich überzeugt! Denn es
ist höchst wichtig, mein Lieber, zu erkennen, welche Entwicklung ein
Mensch genommen hat. Und die Nerven, die Nerven; die haben Sie ganz
vergessen! Heute ist doch jeder krank, anfällig, gereizt! ... Und die
Galle dieser Menschen, die Galle! Das alles ist, muß ich Ihnen gestehen,
gelegentlich eine Art Goldgrube! Und warum soll ich nur darüber Sorgen
machen, daß er keine Fesseln trägt und W der Stadt spazierengeht? Mag er
doch spazierengehen, warum denn nicht? Ich weiß ja ohnedies, daß er
mein liebes Opfer ist und nirgendhin entfliehen kann! Wohin sollte er
denn fliehen? Hehe! Etwa ins Ausland? Ins Ausland flieht e'n Pole, aber
er nicht, um so weniger, als ich aufpasse und meine Maßnahmen getroffen
habe. Wird er etwa ins Innere unseres Vaterlandes fliehen? Aber dort
leben ja Bauern, unvertälschte, derbe russische Bauern; und so wird ein
modern erzogener Mensch eher ins Gefängnis gehen, als daß er mit so
völlig fremden Geschöpfen zusammen lebt, wie es unsere lieben Bauern
sind, hehe!«
- Fjodor M. Dostojewskij, Schuld und Sühne. München 1977 (zuerst 1866)
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