nkel, toter     Ich erinnere mich noch gut an Herrn Manchester. Ich besuchte ihn einmal vor zehn Jahren zusammen mit einigen Freunden, von denen einer Fragen an einen verstorbenen Onkel stellen wollte. Dieser Onkel war auf besonders heftige und ungewöhnliche Weise ums Leben gekommen. Ein Wirbelsturm hatte ihn drei Meilen weit fortgetragen und zugleich mit ihm einen Baum von gut einem Meter Durchmesser und aus über zwanzig Meter Höhe herunterkommen lassen. Diesen Triumph überlebte er nicht. Auf der soeben erwähnten Sitzung stellte mein Freund seinem verstorbenen Onkel durch Herrn Manchester Fragen, und sein verstorbener Onkel schrieb die Antworten nieder, indem er sich Herrn Manchesters Hand und Feder bediente. Das Folgende ist ein genaues Beispiel der gestellten Fragen und ebenfalls für das nachlässige Geschwätz der Antworten, die Herr Manchester unter dem Vorwand gab, daß sie von der Erscheinung diktiert wurden. Wenn dieser Mann nicht der armseligste Betrüger auf Erden ist, muß ich mich bei ihm entschuldigen:

Frage: Wo bist du?

Antwort: In der Geisterwelt.

F: Bist du glücklich?  

A: Sehr glücklich, vollkommen glücklich.

 F: Womit vertreibst du dir die Zeit?

A: Unterhaltung mit Freunden und anderen Geistern.

F: Über was sprecht ihr?

A: Darüber, wie glücklich wir sind; über Freunde, die wir auf der Erde zurückgelassen haben und wie wir sie zu ihrem Besten beeinflussen können.

F: Wenn eure Freunde auf Erden einmal alle in der Geisterwelt sind, worüber werdet ihr euch dann unterhalten? - Nur darüber, wie glücklich ihr seid?

Keine Antwort. Es wird erklärt, daß Geister keine frivolen Fragen beantworten.

F: Wie kommt es, daß Geister, die sich damit zufrieden geben, eine Ewigkeit mit frivoler Beschäftigung zu verbringen und dies als Glück bezeichnen, so eigen in bezug auf frivole Fragen sind?

Keine Antwort.

F: Würdest du gerne zurückkommen?

A: Nein!

F: Kannst du das beschwören?

A: Ja!

F: Was eßt ihr?

A: Wir essen nicht.

F: Was trinkt ihr?

A: Wir trinken nicht.

F: Was raucht ihr?

A: Wir rauchen nicht.

F: Was lest ihr?

A: Wir lesen nicht.

F: Kommen alle guten Menschen dorthin, wo ihr seid?

A: Ja!

F: Du kennst mein gegenwärtiges Leben. Kannst du mir böse Taten nennen, die ich ihm noch zufügen muß, um sicher zu sein, daß ich bestimmt an einen anderen Ort gelange?

Keine Antwort.

F: Wann bist du gestorben?

A: Ich bin nicht gestorben. Ich entschlief.

F: Nun, gut. Wann bist du entschlafen? Seit wann bist du in der Geisterwelt?

A: Wir leben ohne jeden Zeitbegriff hier.

F: Wenn du auch gleichgültig und unsicher in bezug auf Daten und Zeit in deiner gegenwärtigen Lage und Umgebung bist, so hat das doch nichts mit deinem früheren Leben zu tun. Damals hattest du Zeitbegriffe. Danach frage ich dich jetzt. Du gingst an einem bestimmten Tag in einem bestimmten Jahr von uns. Nicht wahr?

A: Ja!

F: Dann sage mir an welchem Tag?

(Ungeschicktes Handhaben des Bleistiftes seitens des Mediums, eine Zeitlang von krampfartigen Zuckungen von Kopf und Körper begleitet. Schließlich eine Erklärung dahingehend, daß Geister häufig Daten vergessen, da solche Dinge für sie bedeutungslos sind.)

F: Dann hat dieser hier tatsächlich das Datum seines Eintritts in die Geisterwelt vergessen? Dies wird als zutreffend bestätigt.

F: Das ist sehr merkwürdig. Nun, dann, in welchem Jahr war es?

(Stärkeres Herumhantieren, Zucken, idiotische Krämpfe seitens des Mediums. Schließlich Erklärung dahingehend, daß der Geist das Jahr vergessen hat.)

F: Das ist wirklich erstaunlich. Laß mich dir noch eine Frage stellen, eine letzte Frage, bevor wir für immer voneinander scheiden. Denn selbst wenn es mir nicht gelingen sollte, deine Welt zu vermeiden, so würde ein Treffen doch nicht als ein Treffen zählen, denn bis dahin wirst du leicht meinen Namen und mich vergessen haben. Starbst du eines natürlichen Todes oder endete dein Leben plötzlich durch eine Katastrophe?

A: (Nach langem Zögern und vielen Zuckungen und Schmerzen.) Eines natürlichen Todes.

Damit war das Interview beendet. Mein Freund sagte zu dem Medium, daß sein Verwandter, als er in dieser armen Welt lebte, mit größter Klugheit und einem absolut lückenlosen Gedächtnis ausgestattet gewesen und es ein großer Jammer sei, daß es ihm nicht erlaubt worden sei, einen Bruchteil davon in dieses Reich der ewigen Zufriedenheit zu seinem eigenen Vergnügen und dem Erstaunen und der Bewunderung dessen Bewohner habe behalten können. - Mark Twain, Leben auf dem Mississippi. Frankfurt am Main 1985 (it 836, zuerst 1883)

 

Onkel

 

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