dyssee
So schwärmen sie also aus, die Phoebus-Späher, um nach dem geklauten Byron
zu fahnden. Aber Galgenstrick Hansel hat Berlin schon längst verlassen und sich
nach Hamburg begeben, wo er Byron an eine Nutte auf der Reeperbahn verhökert,
um sich etwas Morphium schießen zu können - Kunde der jungen Frau in
dieser Nacht ist ein Betriebskostenkalkulator, der sich gerne Glühbirnen ins
Arschloch schrauben läßt, und dieser Macker hat außerdem noch etwas Haschisch
zum Rauchen mitgebracht, weshalb er, als er wieder geht, völlig vergißt, daß
Byron immer noch in seinem Arschloch steckt - er wird's auch nie erfahren, denn
als er sich zum erstenmal wieder hinsetzt (den ganzen Heimweg über hat er in
diversen Bussen stehen müssen), geschieht's auf seinem eigenen Lokus und plop!
abmarschiert Byron ins Wasser und ftuschhhhhhh! durch Rohre und Kanäle in die
Elbe bis zur Mündung. Er ist gerade rund und klein genug, um alle Hindernisse
auf dieser Reise zu überwinden. Tagelang treibt er in der Nordsee, bis er endlich
diese rot und weiß ins Meer gekippte Napoleonspastete, bis er Helgoland erreicht.
Dort bleibt er eine Weile in einem Hotel zwischen Hengst und Mönch, bis er eines
Tages von einem hochbetagten Priester aufs Festland zurückgebracht wird, der
Byrons Unsterblichkeit im Verlauf eines Routinetraums vom Geschmack eines bestimmten
Hochheimers von 1911 spitzgekriegt hat... plötzlich im großen Berliner Eispalast,
eine siedende, summende, eisenverstrebte Höhle, der Geruch von Frauen in den
blauen Schatten- Parfüms und Leder, pelzbesetzte Eislaufkostüme, Eisstaub in
der Luft, fliegende Beine, schlangelnde Hüften, fiebrige Anfälle von Begehren,
Hilflosigkeit und Taumel nach der Pirouette, Sprünge durch schräge Balken Sonnenlicht,
erstickt von EiskristaUen, und eine Stimme aus diesem verschmierten Spiegel
unter seinen Füßen, die spricht: «Du mußt ihn finden, der das Wunder vollbracht
hat. Er ist ein Heiliger. Zeige ihn der Menge! Erwirke seine Seligsprechung
...» Der Name steht auf einer Liste, die der alte Mann sogleich aus etwa tausend
Touristen zusammenstellt, die Helgoland besucht haben, seit Byron am Strand
gefunden worden ist. Der Priester beginnt seine Suche, per Zug, per pedes, per
Hispano-Suiza, er überprüft Jeden einzelnen der Touristen, die auf seiner Liste
stehen. Aber er kommt nur bis nach Nürnberg, wo ihm sein Koffer samt dem in
ein Chorhemd eingewik-kelten Byron von einem Transsektiten namens Mausmacher
geklaut wird, einem Lutheraner, der sich gern in römische Meßgewänder schmeißt.
Dieser Mausmacher, den es nicht befriedigt, nur allein vor seinem Spiegel zu
stehen und papistische Kreuze zu schlagen, denkt sich, daß es ein wirklich bizarrer
Kitzel sein muß, nachts in vollem Fummel aufs Zeppelinfeld rauszugehen und dort
im Schein der Fackeln, aufs Geratewohl die Leute segnend, durch den Parteitagsaufmarsch
zu wandeln. Grüne Fak-kein glühen, Hakenkreuze leuchten rot, Messing blitzt,
und dazwischen Pater Mausmacher, der sich, Titten und Arsche betatschend, Taillen
und Klöten, 'ne kleine klerikale Weise auf den Lippen, irgendwas Flottes von
Bach, breit lächelnd durch die Sieg Heils und Chöre von «Die Fahne hoch» schiebt.
Ohne daß er's merkt, rutscht ihm Byron aus den gestohlenen Gewändern auf die
Erde und wird im weiteren Verlauf des Abends von etlichen Hunderttausend Stiefeln
und Schuhen im Marschtritt passiert, ohne dabei auch nur die geringste Schramme
abzukriegen, klar. Am nächsten Morgen, da das Zeppelinfeld friedhofsverlassen
daliegt, säulenumfingert, bleich, gestreift von langen Schmutzlachen, mit sich
ausfasernden Morgenwolken hinter dem vergoldeten Hakenkreuz und Kranz, erscheint
ein armer jüdischer Lumpensammler, der Byron findet und mitnimmt, mitnimmt zu
weiteren fünfzehn Jahren der Bewahrung vor dem Zufall und vor Phoebus. Mutter
auf Mutter wird er statt dessen kennenlernen, wie im Deutschen, aus einem Grund,
den keiner ganz begreift, die negativen Gewinde, z. B. in Lampenfassungen, genannt
werden. - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei
Hamburg 1981