chsengalle Ich
hatte mir angewöhnt, allzeit an den Fingernägeln zu kauen. Wenn ich während
des französischen Unterrichts mich so recht innig und fernsinnend diesem Sport
hingab, beschlich mich Rochlitz und schlug mir unversehens mit dem Lineal gehörig
auf die Hand. Das half aber nur für kurze Zeit. Später mußte ich ihm vor Beginn
jeder Stunde meine häßlich verstümmelten Fingerspitzen
hinhalten, und er schmierte mir zum Gaudium der ganzen Klasse Ochsengalle darauf.
Ochsengalle ist gelb und schmeckt bitter. Aber meine Leidenschaft nahm das mit
in Kauf und gewöhnte sich rasch daran. Als man dieser üblen Angewohnheit von
mir keine Aufmerksamkeit mehr schenkte, verlor sie sich von selber.
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Joachim Ringelnatz, Mein Leben bis zum Kriege. Reinbek bei Hamburg 1972 (zuerst
1931)
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