berherr   Man kennt die Bilder, die von den babylonischen Oberherren überliefert sind. Ich verrate keine Neuigkeit, wenn ich mitteile, die Bilder stimmen nicht. Sie sind von einfältigen Menschen aus dem Kopf angefertigt. Sie sahen anders aus, diese ehemaligen Löwen, Verderber, Gewaltherren, Räuber und Prasser.

Ihre bärenstarke Brust, ihre gewaltigen Arme, die Beinmuskeln waren längst verkümmert. Allesamt waren sie aufgeschwemmt und hatten ein mächtiges Fettpolster an sich gesammelt. Sie saßen bei einander in ihrer schummrigen alten Halle, die sie sich in ihren starken Zeiten gezimmert hatten. Waffen und Streitwagen standen nebenan im Stall. Kaum daß sie noch ein paar Schritt gehen konnten. Einige von sich hatten sie dressiert, das Notwendigste für die Welt zu verrichten, die Sonne herauf und herunter zu führen, den Regenfall zu regeln, die Wolken entsprechend hin und her zu schieben, auch von Zeit zu Zeit mit Hagelschlag zu zeigen, daß man noch da war. Aber es wäre verkehrt anzunehmen, daß auf diese Bedienung Verlaß war.

Die Oberherren, Konrad der Hauptkämpfer an der Spitze, hatten damenhaft feine Arme, die sie zu eleganten Bewegungen beim Sprechen benutzten. Ihre Beine waren kurze dicke Klumpen, zum Stehen und für kleine Schritte ausreichend. Essen und Trinken, Schmausen war die Hauptsache bei der verrotteten Gesellschaft. Das sah man ihrem Gesicht an. Sie lebten von Opfern auf der Erde, besonders Rauch- und Brandopfern. Dafür hatten sie kolossale Augen, ferner ungeheure Nasen. Die Augen sprangen ihnen gewaltig wie Fäuste unter den Stirnen hervor, mit diesen Augen spähten sie unausgesetzt nach ausgelegten Speisen auf der Erde, besonders nach solchen, die ihre Nasen nicht bemerkten, wie rohes Gemüse und Obst, denn sie verschmähten nichts.

Das Hauptorgan in ihrem Gesicht war die Nase. Statt eines weisen Gehirns, eines gütigen Herzens hatten sie sich diese ungeheuren Nasen angeschafft, mit denen sie meilenweit und unausgesetzt rochen. Sie ähnelten darin dem Vieh auf der Weide, das, wenn es nicht schläft, auch unausgesetzt rupft und kaut. Konrad konnte aus jedem Geruch herausriechen, woher er kam, ob von einem gesunden oder kranken Tier, ob es ein Stier, eine Kuh, ein Schaf, ein Lämmchen war, ob es guter Wein war, den man ihm hinstellte, oder Gepansch, ob frisches oder altes Brot.

Wohl uns, meine Damen und Herren, wären auch wir mit solcher Nase begabt und wären auch unsere Emähnungsorgane so eingerichtet, daß sie schon durch den Geruch befriedigt würden! Denken wir an die Arbeitslosigkeit, diese Plage unserer Welt, welcher Sorge wären wir enthoben, wenn die Armen, statt zum Stempeln auf das Arbeitsamt, vor die Verkaufsläden oder in staatliche Magazine gingen und da alles, was ihr Herz begehrt, bloß röchen, Brot, Braten, Schinken,Wurst, Käse, Suppen, Bier, Wein aller Sorten, Kognak und Champignons, Steinpilze, Bratheringe, gebackene Hühner, Tauben, Bratgänse mit Zwiebeln und Äpfeln, falscher und echter Hase, Krammetsvögel, jede Sorte Wildbret, und da steht man je nach Appetit eine viertel oder halbe Stunde und schlemmt. Kranken könnte man die Speisen in die Wohnung bringen, die Erfindung eines Fernriechers würde nicht auf sich warten lassen. Wie gut wäre das alles.

Oberherr

Statt dessen erzeugt uns der Geruch vermehrten Appetit. Um den Neid auf die himmlischen Prasser freilich zu dämpfen, muß ich auf etwas aufmerksam machen, was man auf den alten Bildern nicht erkennt; ihre Nasen waren wenig schön. Es waren, wie ihre Ernährungsweise verständlich macht, dicke Zwiebeln, Zinken, gewaltige Erker, die ihnen vor dem Mund hingen. - Alfred Döblin, Babylonische Wandrung oder Hochmut kommt vor dem Fall. München 1982 (dtv 10035, zuerst 1934)

 

Herr

 

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