Nonchalance  Noch vor zwei Jahren war Lowell Lee Andrews, ein Riese von achtzehn Jahren mit einer großen Hornbrille, der fast zweihundermeunzig Pfund wog, Student an der Universität von Kansas gewesen, der sich, in seinen Studien - sein Hauptfach war Biologie - auszeichnete. Er war ein Einzelgänger und wenig gesellig, aber obwohl er zurückgezogen lebte und am liebsten mit sich allein war, hielten seine Bekannten an der Universität wie in seiner Heimatstadt Wolcott, Kansas, ihn für außergewöhnlich freundlich und «gutherzig» (später erschien in einer Kan-saner Zeitung ein Artikel über ihn mit der Überschrift: «Der netteste Junge von Wolcott». Aber nur nach außen war Andrews der ruhige junge Student, für den man ihn hielt; innerlich war er ein anderer, in seinem Gefühlsleben gestört und heimgesucht von grausamen, brutalen Gedanken. Seine Angehörigen - Eltern und eine wenig ältere Schwester Jennie Marie - wären überrascht gewesen, wenn sie gewußt hätten, welche Wunschträume Lowell Lee im Sommer und Herbst des Jahres 1958 beschäftigten; der begabte Sohn, der geliebte Bruder ging mit dem Plan um, sie alle zu vergiften.

Der alte Andrews war ein wohlhabender Farmer. Er hatte nicht viel Geld auf der Bank, aber er besaß Land im Werte von annähernd zweihunderttausend Dollar. Der Wunsch, sich zum Alleinerben dieses Grundstücks zu machen, war offenbar das Motiv für Lowell Lees Plan, seine Familie auszulöschen. Denn der heimliche Lowell Lee, der sich hinter dem scheuen, kirchenfrommen Biologiestudenten verbarg, hielt sich insgeheim für einen kaltblütigen Meisterverbrecher: Es reizte ihn, seidene Gangsterhemden zu tragen und knallrote Sportwagen zu fahren; er hatte es satt, für nichts weiter als einen harmlosen Bücherwurm gehalten und wegen seiner Brille, seinem Übergewicht und seiner Kindlichkeit belächelt zu werden; und obwohl er keinen der Angehörigen haßte, wenigstens nicht bewußt, schien der Mord an ihnen der schnellste Weg, die Phantasien, von denen er besessen war, zu verwirklichen. Arsen war die Waffe, für die er sich entschied; nachdem er die Opfer vergiftet hatte, wollte er sie in ihre Betten legen und das Haus anzünden und so den Anschein erwecken, als wären sie durch den Brand umgekommen. Doch ein Detail störte ihn dabei: angenommen, eine Obduktion der Leichen ergäbe, daß sie mit Arsen umgebracht worden waren? Und angenommen, man könnte ihm den Kauf des Giftes nachweisen? Und so entwickelte er gegen Ende des Sommers einen neuen Plan. Drei Monate setzte er daran, ihn zu vervollkommnen. Und schließlich, eines Abends Ende November, war er bereit, zu handeln.

Der Thanksgiving-Tag stand bevor, und Lowell Lee war auf Ferien zu Hause, wie Jennie Marie auch, ein intelligentes, aber unkompliziertes Mädchen, das ein College in Oklahoma besuchte. Am Abend des 28. November gegen sieben Uhr saß Jennie Marie mit ihren Eltern im Wohnzimmer vor dem Fernsehapparat; Lowell Lee hatte sich in seinem Schlafzimmer eingeschlossen und las das letzte Kapitel der Brüder Karamasoff. Nachdem er damit fertig war, rasierte er sich, zog seinen besten Anzug an und lud sodann ein halbautomatisches Gewehr, Kaliber .22, und einen Ruger-Revolver vom selben Kaliber. Er steckte den Revolver in die Gesäßtasche, schulterte das Gewehr und schlenderte den Gang entlang zum Wohnzimmer, das abgedunkelt und nur von dem flimmernden Licht des Bildschirms erhellt war. Er machte Licht, legte das Gewehr an und feuerte und traf seine Schwester zwischen die Augen; sie war sofort tot. Dann schoß er dreimal auf seine Mutter und zweimal auf seinen Vater. Die Mutter wankte mit weitaufgerissenen Augen und ausgestreckten Armen auf ihn zu; sie versuchte zu sprechen, aber sie öffnete vergebens den Mund, und Lowell Lee sagte zu ihr: «Halt den Mund!» Um sie endgültig zum Schweigen zu bringen, schoß er noch dreimal auf sie. Mr. Andrews aber lebte noch; schluchzend und röchelnd arbeitete er sich mit letzter Kraft über den Boden vor, um die Küche zu erreichen, an der Schwelle der Küchentür aber zog der Sohn den Revolver, legte auf seinen Vater an und schoß das Magazin leer, lud dann nach und schoß es wiederum leer; insgesamt wurde sein Vater von siebzehn Kugeln getroffen.

Andrews hatte, wie er sich geäußert haben soll, «bei der Sache nichts weiter empfunden. Die Zeit war gekommen, und ich habe bloß getan, was ich tun mußte. Das ist alles.» Nach der Tat schob er ein Fenster in seinem Schlafzimmer hoch und hängte das Fliegenfenster aus; dann riß er überall im Haus die Schubladen auf und streute den Inhalt umher: er wollte einen Einbruchdiebstahl vortäuschen. Dann fuhr er im Wagen seines Vaters vierundsechzig Kilometer auf schneeglatten Straßen nach Lawrence, wo sich die Universität von Kansas befindet. Unterwegs hielt er auf einer Brücke an, nahm seine tödlichen Waffen auseinander und warf die Teile in den Kansas River. Aber natürlich war der Hauptzweck dieser Fahrt, sich ein Alibi zu beschaffen. Als erstes fuhr er zum Campus-Haus, wo er ein Zimmer hatte, sprach mit der Wirtin und erzählte ihr, daß er gekommen sei, um seine Schreibmaschine zu holen, und daß er für die Fahrt von Wolcott nach Lawrence wegen des schlechten Wetters zwei Stunden gebraucht hätte. Danach ging er in ein Kino, wo er sich, was sonst nicht seine Art war, mit einem Platzanweiser und einem Süßwarenverkäufer unterhielt. Um elf, als der Film zu Ende war, fuhr er nach Wolcott zurück. Auf der Veranda wartete der verhaßte Hund der Familie; er jaulte vor Hunger, und so ging Lowell Lee ins Haus, stieg über die Leiche seines Vaters und machte dem Hund eine Schüssel mit warmer Milch und Maisbrei zurecht; während der Hund es aufschlappte, telefonierte er mit dem Sheriff und sagte: «Hier ist Lowell Lee Andrews, 6040 Wolcott Drive. Hier im Haus ist eingebrochen worden —»

Bald darauf kam eine vierköpfige Polizeistreife der Wyandott County. Einer der Beamten, der Polizist Meyers, gab folgende Beschreibung der Szene: «Es war gegen ein Uhr früh, als wir dorthin kamen. In allen Zimmern war Licht. Und Lowell Lee, dieser dunkelhaarige, mächtige Bursche, saß auf der Veranda und streichelte seinen Hund. Tätschelte ihm den Kopf. Leutnant Athey fragte den Burschen, was passiert sei, und er zeigte ziemlich beiläufig auf die Tür und sagte: 'Sehen Sie sich's an'.» Die Polizisten waren bestürzt über das, was sie sahen; sie riefen den Leichenbeschauer der County herbei, der ebenso wie sie über die Nonchalance und Teilnahmslosigkeit des jungen Mannes überrascht war, denn als er ihn nach seinen Wünschen in bezug auf die Bestattungszeremonie fragte, zuckte Andrews die Achseln und sagte: «Mir ist es egal, was Sie mit ihnen machen.»   - (cap)

Nonchalance (2)   Onkel Konstantin, hager, groß und schwächlich, mit leichter Glatze, langer, dünner Nase, langen, dünnen Fingern, schmalem Mund und zarten Nasenflügeln, von vollendet erschöpften Manieren, ausgeformt und abgeschliffen, lehnte sich mit der ungewöhnlichen Souveränität und nachlässigen Eleganz des Mannes von Welt in seinem Fauteuil zurück und legte seine mit gelben Wildlederpantoffeln beschuhten Füße auf den Tisch.

»Gezogen«, sagte er, »hat es einmal. Aber das ist nun vorbei.«

Die Fliege summte.

»Kocio«, sagte die Tante gütig, »hör auf, dich zu grämen«, und gab ihm einen Bonbon. Doch er grämte sich und gähnte - öffnete den Mund so weit, daß ich seine von Zigaretten gelben Zähne bis hinten sah, und gähnte zweimal ungeniert und mit höchster Nonchalance.

»Tereperepumpum«, murrte er, »ein Hund tanzt im Hof herum, und die Katze lacht sich krumm.«

Er nahm ein silbernes Zigarettenetui aus der Tasche und trommelte mit den Fingern darauf, doch es fiel ihm zu Boden. Er hob es nicht auf, sondern gähnte wiederum - gegen wen gähnte er so? Wem gähnte er? Die Familie auf den Bieder-

meiersesseln verfolgte diese Kundgebungen schweigend. Der alte Diener Franz trat ins Zimmer.

»Es ist serviert«, verkündete er im Gehrock.

»Das Souper«, sagte die Tante.

»Das Souper«, sagte Zosia.

»Das Souper«, sagte Zygmunt.

»Das Etui«, sagte der Onkel.

Der Diener hob es auf, und wir gingen in das Speisezimmer.  - (fer)

 

Unbefangenheit

 

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