icht-Wisser  »Worüber weinst du?« Und jener antwortete, aufgelöst durch die verlorenen Tränen und den abgesonderten Schleim, mit durch Seufzer beschwertem Atem, unter einem erneuten Strom aus seinen Augen, vor Scham, Ärgernis erregt zu haben, vor Angst, trotzdem keine Besserung erfahren zu können: »Ich weiß es nicht.«

Der sehr geehrte Herr Sörensen, Propst an der Hauptpfarre von Vor Frelsers Kjirke, der mit seinen beiden Zwillingstöchtern, die zum Herbst Studenten werden sollten, vorüberging, wußte es auch nicht. Hochwürden Rasmussen, Vikar und in naher Freundschaft mit Seiner Eminenz, dem weltklugen, weisen, doch darum nicht minder gütigen Bischof, der, um unterrichtet zu sein über die Dinge des täglichen Lebens, ihn (Hochwürden Rasmussen) auf den Markt entsandt, und just vorüberging (recht eigentlich vermummt), wußte es auch nicht. Der jüdische Herr Hjort, erster kristlicher Prediger der Presbyterianischen Gemeinde (Hinterhaus der Jens Bjelkes Gate), der mit seiner jüdischen Frau vorüberging, wußte es auch nicht.

Sein gleichnamiger Vetter (den er nicht zu kennen vorgab), seine Gütigkeit, der Unterrabbiner der jüdischen Synagogengemeinde (mit leicht melankolisch-zionistischem Zug), der mit seiner kristlichen Frau (welche, wie sich versteht, um seinetwillen eigenen Glauben und eigene Rasse verleugnet, weshalb er sie heiratete) vorüberging, wußte es auch nicht.

Herr Pieter Hendrik Cuipers (er war Holländer), Konsul, Kaufmann, Tyrann und Pfarrer derMennonitengemeinde, die, bescheiden an Zahl, aber geldreich, in der Nähe des Schlosses einen Betsaal unterhielt (Stätte des Zornes), wußte es auch nicht.

Herr Büttner, Doktor zweier Fakultäten, Ehrendoktor einer dritten, der theologischen, der privatim mit Teertauen und rohem Hanf handelte, gewissermaßen ein guter Familienvater, mit Rücksicht auf seinen demnächst erwachsenen Sohn Heinrich, Hauptprediger der unerbittlichen reformierten Protestanten, der an der Seite seines obenerwähnten reichlich halbwüchsigen Sohnes (die Gattin war gestorben) vorüberging, wußte es auch nicht. Prediger Öle Ellingsen, gemeinhin Johannes genannt, wegen seines mächtigen Vollbartes, von der Baptistengemeinde Kapelle Grünerlökken, der mit seiner Frau und seiner Dienstmagd vorüberging, wußte es auch nicht. Prediger Emanuel Juul, von der Methodistengemeinde, Betsaal in Gemeinschaft mit Pieter Hendrik Cuipers, umschichtig, wußte es auch nicht.

Laienprediger Erling Haugastöl, der neu-apostolischen Kirche, wußte es auch nicht.

Ellen Dyrskar, einer der Heiligen der letzten Tage, wußte es auch nicht.

Frau Ragna Sokna, durchtriebene Bibelauslegerin und Entdeckerin des Kometen Melchisedekus, 2331 Jahre bevor Christ, ii h. 55 Min. abends am Himmel sichtbar, ihrer Überzeugung nach Anhängerin der Christian Science, wußte es auch nicht.

Die Brüder Nils und Adle, vom Hause Zoar, wußten es auch nicht.

Die Brüder Kaare und Einar, vom Hause Elim, wußten es auch nicht.

Die von der Heilsarmee Sergeantin Haabjörg Vossevang und die Soldaten Leif Raeder und Daniel Mellemsund, wußten es auch nicht.

Doch der Gehirnspezialist Dr. Martell (us) redete mit lauten Worten zu einer jungen Dame, deren Schwester (verheiratete Frau mit vier Kindern) vor drei Wochen auf seinem Operationstisch gestorben war, über das, was er nicht wußte: »Ich würde sagen, es handelt sich um eine Pubertätserscheinung bei diesem öffentlichen Plärren; aber der Junge ist zu kräftig.« - (jah)

Nicht-Wisser (2)  Bei ener Stelle im Skotus Erigena ist zu erinnern, daß sein Deus [Gott], als welcher ohne Erkenntniß ist und von welchem Zeit und Raum, nebst den zehn Aristotelischen Kategorien, nicht zu prädiciren sind, ja, dem überhaupt nur Ein Prädikat bleibt, Wille, - offenbar nichts Anderes ist, als was bei mir der Wille zum Leben: est etiam alia species ignorantiae in Deo, quando ea, quae praescivit et praedestinavit, ignorare dicitur, dum adhuc in rerum facta-rum cursibus experimento non apparuerint [Es ist noch eine andere Art des Nichtwissens in Gott, sofern man sagt, daß er dasjenige, was er voraus gewußt und voraus bestimmt hat, nicht wisse, so lange es sich noch nicht im Laufe der tatsächlich geschehenen Dinge in der Erfahrung gezeigt hat]. (De divis. nat. p. 8j edit. Oxon.). Und bald darauf (S. 84): tertia species divinae ignorantiae est, per quam Deus dicitur ignorare ea, quae non-dum experimento actionis et operationis in effectibus manifeste apparent; quorum tarnen invisibiles rationes in seipso, a seipso creatas et sibi ipsi cognitas possidet. [Eine dritte Art des göttlichen Nichtwissens besteht darin, daß man von Gott sagt, er wisse dasjenige nicht, was noch nicht durch die Erfahrung des Tuns und Ausführens in den Wirkungen zutage getreten ist; obgleich er die unsichtbaren Gründe in sich selbst als von ihm selbst erschaffen und ihm selbst bekannt, besitzt.] - Schopenhauer, Über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksal des Einzelnen. Nach (schop)

Nicht-Wisser (3)   Die Schachfiguren wissen nicht, daß ein Spieler sie lenkt; der Spieler weiß nicht, daß ein Gott ihn lenkt; der Gott weiß nicht, welche anderen Götter ihn lenken. - (bo3)
 
 

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