Nicht-System  Nun muß erklärt werden, auf welche Weise das System das einschließt, was sich nicht als System auszeichnet. Es soll hier von den BILDERN die Rede sein. Die BILDER gehören nicht zum System, und man weiß auch nicht, woher sie kommen; es kann sein, daß sie in einem gewöhnlich verlassenen Raum ihren Ursprung haben, von einem himmlischen Schoß geboren werden, wenngleich dieser unfruchtbar ist. Die Bilder sind im Raum unterwegs, sie reisen durch das System; sie fallen dort ein und verstricken gewissermaßen das System in sich, stiften Verwirrung und bereiten Kummer; sie verwunden und schinden das System. Die BILDER sind: das EXIL, der TRAUM, das TIER, der ZAHN. Das EXIL geht einher wie eine große silberne Wolke, weit ausgedehnt und zugleich abstrakt, vielleicht unfähig, sich eine Form zu geben, oder sich gegen eine Form sträubend. Das Exil hüllt im Grunde genommen das gesamte System nicht ein, sondern beleckt es seiner Natur entsprechend, wie wir zu sagen wagen, anspielungsweise. Es streift die ORTE nur, geht nicht bis zur Mitte des Platzes vor. Aber wenn stillschweigend und begehbar das Bild des EXILS auftritt, erfaßt ein Beben das System, die ORTE und die Zusammenballungen der Mitte. Rotation und Nutation, Laufen und Nachlaufen werden langsamer und unsicherer; und eine Art Verhör dringt durch den Raum des Systems. Die FEUER werden aschfarben, ihre gewohnte Raserei schwindet; die ERBAUTIERE werden lauter weinerliche Hirsche, und den ZENTREN vergeht ihre Angriffslust. Einzig herrscht die schattige Natur der NEIN in vollkommener Stille, mit höchster Würde und Eleganz, und das Nein wird zur Maßeinheit für das gesamte System, Überall verbreitet sich eine merkwürdige Langsamkeit, selbst das Ideogramm sieht verquält und bleicher aus, beinahe, als wollte es sich einer philologischen Untersuchung von seiten des EXILS entziehen. Man glaubt nämlich, daß das EXIL, welches weder Zunge noch Ohren noch Tastsinn hat, sich weder nährt noch wächst noch hinfällig wird, trotzdem imstande sei zu sehen; womit, weiß zwar niemand, und es ist auch kaum vorstellbar, denn Augen hat es nicht; es könnte jedoch sein, daß das schwache Schimmern des EXILS ein sehfähiges Licht ist, womöglich vom Glanz der FEUER genährt, deren blutleeres Phosphoreszieren dann daher kommen würde, daß ihnen das EXIL eine Art Lichttribut abverlangt. Wie dem auch sei, bei den ORTEN und auf dem Platz in der Mitte des Systems ist die Überzeugung verbreitet, daß das EXIL beobachtet; daher das vorsichtige, langsame Beben, das sich überall verbreitet; daher das Mißtrauen der ESSENZEN, die Vorsicht der THRONE, die Enthaltung der PROPHEZEIUNGEN, die Nachdenklichkeit der ERINNERUNG, die vergeblich darauf bedacht ist, den vollgepfropften und öden Raum, auf den sie zurückblickt, zu erodieren. Es mag kaum erstaunen, daß die PFÜTZE sich mit Tränen füllt, der Ort Hand, nicht ohne Sarkasmus, eine bettelnde Geste nachahmt, und der RING, den man allgemein für dümmlich hält, den WIND bittet, einen noblen, aber unglaublichen Hochzeitsmarsch durch seinen Kreis hindurch zu blasen; allerorten mischt sich Traurigkeit mit Spott; das LICHT möchte sich in der Vagina verstecken, und diese stellt Gefühlsbewegungen zur Schau, die ihre solitäre Fruchtbarkeit Lügen zu strafen scheinen. Das Verb ABSTÜRZEN versinkt in sich selbst, und niemand hört mehr etwas von ihm; und das sieht nach Anstand und Würde aus.  - Giorgio Manganelli, System. Aus (irrt)
 
 

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