Netzknüpfer   Der unsichtbare als der dünnste und zugleich als unzerreißbar der zäheste Faden, kann man ihn schaffen, und wie kann man ihn schaffen? Das war das Problem, das er lösen mußte, alles andere ergab sich daraus. - Es war ein Problem, das Hephaistos gemäß war, doch es war damit noch nicht sein ganzes Problem.

Er legt die Hand auf das pure Metall.

Schönheit seiner Kälte und federnden Zähe, und Stärke des Feuers, das sie beide bezwingt.

Er schmolz eine Handvoll des Stoffes heraus und begann ihn, da er erkaltete, zwischen den Fingerkuppen der Rechten zu reiben, indes die Linke ihn in die Länge zog. Das heiße Metall war von einer Dehnbarkeit und das abgekühlte von einer Feste, wie er sie beide noch nicht kennengelernt hatte und wie sie nur hier entstehen konnten, als Sonnengeflecht aller Adern Metall zwischen dem Herzen und dem Zwerchfell der Erde. - Gemüt der Materie:, sein Stoff. -Was er nun noch brauchte, war die feinste Öse: ein Plättchen eines Diamanten, durchschossen von einem Strahl Sonnenlicht. Für die gröberen Ösen besaß er Bohrer, herab bis zum Durchmesser eines Haares. Während der Nacht Schmiedete er eine Haspel mit überlangem Dreharm; am Morgen, vorm Tor seiner Werkstatt, wartete er aufs Erscheinen des Sonnenlenkers, und der erste Strahl des Lichts durchschlug den Diamanten. - Hephaistos entließ die Gesellen zu ihren Frauen; er spendete ihnen Wein und gebratenes Fleisch. Sie dankten lärmend; der Schmied schloß sich ein. Er schlug die Ösen, feiner nach grober, in gebührenden Abständen auf eine Schiene, blockte, hinter heißester Flamme, das Metall in die Zwinge einer Felskluft und begann es durch die Ösen zu ziehen. Bevor der Faden unsichtbar wurde, begann er zu funkeln, dann wurde das Funkeln ein luftiger Glanz, wie entzückter Äther, und dieser Glanz blieb, ohne daß man ihn entdeckte, nichts war zu sehen als Luft, doch lächelnde Luft. Nun rief Hephaistos seine Gesellen; sie sahen nichts; dann griffen sie es. - Er hieß sie das Nichts zerreißen; die Haspel krachte wie ihre Schulterblätter, das Nichts hielt stand. Hephaistos packte mit an; der Haspelarm brach. - Die Gesellen wurden ein zweites Mal heimgeschickt, das Tor ein zweites Mal verschlossen, und der Lahme knüpfte sein Netz.

Entzückendes Nichts: die Stärke des Stoffs erschien als reine Schönheit. - Der Schmied, hingerissen, vergaß den Anlaß. Er küßte das Netz.  - Franz Fühmann, Das Netz des Hephaistos. In: F. M., Marsyas. Mythos und Traum. Leipzig 1993 (Reclam 1449, zuerst 1974 ff.)

 

Netz

 

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