essushemd     Während ich hier schreibe, verschwimmt, wie üblich, alles und verliert seinen wahren Charakter, seine Dringlichkeit, je mehr es sich auf dem Blatt in eine wie auch immer geartete Ordnung fügt. Ich halte fest, daß ich in drei Monaten fünfzig Jahre alt werde und daß ich schon mehr als einmal dieses Tagebuch beginnen wollte, ein Tagebuch (das einzige, was mir noch zu tun bliebe), und daß ich jedesmal gleich zu Beginn durch das Auftauchen der gewohnten nichtigen Besorgnisse davon abgehalten wurde: die Wahl der Worte, die Gliederung nach Themen, die Anschaulichkeit des Stils und andere verfluchte Hemmnisse, deren Nichtigkeit ich mir im übrigen voll bewußt war, so daß ich mir nicht einmal eine Ablenkung hätte erhoffen können, geschweige denn einen Neuanfang. Ein Nessushemd, diese Art Literatur oder Schreiberei, die von ihren Kuppeleien beziehungsweise ihren albernen Tricks nicht lassen kann, ja nicht einmal auf eine möglichst vorteilhafte typographische beziehungsweise visuelle Anordnung (der Zeilen, der Wörter auf den Manuskriptblättern) verzichten will. Aber wie da herauskommen? Und dabei wünschte ich, daß dies das Buch (das Register) meiner Selbstentäußerung würde, dasjenige, das niemanden etwas anginge als mich allein. Doch inzwischen ist in dieser mühsamen Präambel bereits all das verlorengegangen, was heute früh noch hätte wichtig sein können, und schon habe ich unwillkürlich damit angefangen, die mißglückten Buchstaben nachzuzeichnen und auszubessern . . . Wie sehr wünschte ich, endlich nicht verstanden zu werden, nicht von allen! (!) Obwohl, ist nicht bereits das eine literarische Besorgnis? Ach, sei es, was es sei.

Die gleiche Angst wie vor jenem Leichnam empfand ich vor einem neugeborenen Kind, dem meinen, als es vor wenigen Tagen noch wie ein gerade erst fest gewordener Samenklumpen dalag (so mein präziser Eindruck). Womit werde ich es ernähren, ich, der ich keine Nahrung finde?  - (land3)

Nessushemd ⁽²⁾