Natursprache Alles was von Gott geredet / geschrieben oder gelehret wird / ohne die Erkäntnüß der Signatur, das ist stumm und ohne Verstand / dann es kommt nur aus einem historischen Wahn / von einem anderen Mund / daran der Geist ohne Erkäntnüß stumm ist: So ihm aber der Geist die Signatur eröffnet/ so verstehet er des andern Mund / und verstehet ferner / wie sich der Geist. . . im Hall mit der Stimme hat offenbahret. Dann an der äußerlichen Gestaltnüß aller Creaturen / an ihrem Trieb und Begierde / item, an ihrem außgehenden Hall / Stimm oder Sprache / kennet man den verborgenen Geist... Ein jedes Ding hat seinen Mund zur Offenbahrung. Und das ist die Natur-Sprache / daraus jedes Ding aus seiner Eigenschafft redet / und sich immer selber offenbahret. - Jakob Böhme

Natursprachen (2)  Man wußte, daß sich die ganze Vielfalt der Natur - Sonnenuntergänge, Wasserfälle, Moskitos und die herrlichen Galaxien - auf das Wechselspiel - oder wie die Physiker es gerne nannten: die Wechselwirkungen - von vier Grundkräften reduzieren ließ. Zwei dieser Kräfte waren den Menschen schon ein Begriff gewesen, bevor sich die Physik als Wissenschaft etabliert hatte: die Schwerkraft, die in Einsteins Relativitätstheorie als Folge der Raumzeit-Krümmung erklärt wird, und der Elektromagnetismus der für so unterschiedliche Phänomene wie die statische Aufladung bei Kämmen oder Teppichböden und die CBS-Abendnachrichten verantwortlich ist. Einstein hatte die zweite Hälfte seines Lebens damit verbracht, nach einer Theorie zu suchen, die diese beiden Kräfte erklären konnte. Während er sich noch damit herumschlug, hatte die Kernphysik des 20. Jahrhunderts zwei weitere Kräfte entdeckt: die sogenannte starke und die schwache Kernkraft. Die schwache Kraft war für den radioaktiven Zerfall verantwortlich, die starke hielt die Atomkerne zusammen.

Bei Physikern wie Turner klang es oft so, als wären diese Kräfte - oder »Wechselwirkungen« - Sprachen, in denen die Elementarteilchen miteinander kommunizieren. Ein Teil der Vielfalt und der Schwierigkeiten der Physik (und der Kosmologie) rührt daher, daß nicht jedes Teilchen auf jede Kraft reagiert. In der babylonischen Sprachverwirrung der Atome reden nicht alle Partikel in derselben »Sprache«. Das Proton versteht und reagiert auf alle Kräfte, andere, wie das schwer faßbare Neutrino, treten nur mittels der schwachen Kraft mit etwas anderem in Wechselwirkung; sie »sprechen« nicht mit den anderen Kräften und sind taub für die meisten Sprachen um sie herum. Die Teilchenphysiker hatten die Aufgabe herauszufinden, aus welchen Bestandteilen die Materie zusammengesetzt ist und welche Worte sie flüstern - und vielleicht als ehrgeizigstes Ziel, irgendwann einmal eine gemeinsame Basis der verschiedenen Sprachen zu finden.

In den frühen sechziger Jahren erschien der Gedanke, daß man einmal mit ein paar Gleichungen die ganze Physik würde erklären können, noch ziemlich abwegig. Jede der vier Kräfte war in Theorie und Praxis ein kleines Königreich für sich. Das spinnwebenbedeckte Königreich der Schwerkraft war am wenigsten erreichbar - die Effekte der allgemeinen Relativität traten in Größenordnungen auf, die im Labor nicht reproduziert werden konnten. Die anderen drei Kräfte hatten gemeinsam, daß sie innerhalb des Atoms auftraten. Und die Hausordnung im Atom war die Quantenmechanik.

Auch wenn die metaphysischen Grundlagen der Quantenmechanik der Generation ihrer Begründer sehr seltsam erschienen waren, hatte sich ihre Physik inzwischen zu einer reibungslos funktionierenden mathematischen Maschine entwickelt, und Studenten wie Guth lernten, wie man die Maschine bediente. Auf der Quantenebene ging es in der Physik der vier Grundkräfte zu wie bei einem großen, wilden Baseballspiel. Kräfte flogen in Form von kleinen Paketen gebündelter Energiewellen wie Basebälle zwischen den Teilchen hin und her. Die Welt bestand aus Materieteilchen namens Fermionen und aus Energie transportierenden Teilchen namens Bosonen. So war etwa das elektromagnetische Boson - der Träger der elektromagnetischen Strahlung, die wir normalerweise Licht nennen - ein Energiebündel namens Photon.  - Dennis Overbye, Das Echo des Urknalls. München 1993

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