ashorn   Das einzige großformatige graphische Werk, das Dürer von einem exotischen Tier geschaffen hat, nämlich ein 1515 entstandener Holzschnitt, zeigt ein Tier, das er niemals gesehen hat. Es handelt sich um das berühmte Rhinozeros, dem eine Zeichnung Valentin Ferdinands zugrunde liegt, eines mährischen Druckers, der sich in Lissabon aufhielt, als dort eines dieser großen Tiere im Mai 1515 per Schiff eintraf; man hatte es aus Cambay hergeschafft, einer der entlegensten

Das Rhinozeros nach Dürer

überseeischen Kolonien Portugals in Westindien. Dürer gibt auch Ferdinands Begleittext wieder, der zusammen mit der verlorengegangenen Vorlage nach Deutschland gelangt sein muß:

Das nennen sie Rhinocerus. Das ist hier mit aller seiner Gestalt abkonterfeit. Es hat eine Farbe wie eine geprenkelte Schildkröte. Und ist von dicken Schalen überlegt, fast fest. Und ist in der Groß als der Elefant, aber niederträchtiger von Beinen und fast wehrhaftig. Es hat ein scharf stark Horn vom auf der Nasen. Das beginnt es alsbald zu wetzen, wo es bei Steinen ist. Das dosige Tier ist des Elefanten Todfeind (...) Dann das Tier ist also gewappnet, daß ihm der Elefant nichts kann tun. Sie sagen auch, daß der Rhinocerus schnell, freudig und listig sei. In Griechisch und Latein heißt das Tier »Rhinocero«, in Indien »Ganda«.

Da Dürer statt einer Kupferplatte einen Holzblock verwendete, konnte er ein Maximum an Einschnitten unterbringen. Dieser Holzschnitt ist eine Breitseite im wahrsten Sinne des Wortes, der journalistische Knüller über eine Sensation, vergleichbar dem Stich mit der Darstellung des wunderbaren Schweins von Landser, einem anderen Naturereignis, das Dürer nie gesehen hat.

Eine auf Nashörner spezialisierte Dermatologin äußerte die Vermutung, das arme Tier sei auf der langen, feuchten Seereise von einer Pilzkrankheit befallen worden, was sein seltsames Schuppenmuster erklären würde.  - Colin Eisler, Dürers Arche Noah. Tiere und Fabelwesen im Werk von Albrecht Dürer. München 1996 (zuerst 1991)

Nashorn (2)

Rhinonautzerus

Sööht, diss Rhinonautzerus:
Pei dmm Kiokauitus
hart'z di Nuse ümmbar vurrn,
dönn mtt sinem graußßzn Hurrn
karnn diss Tüür di dullzdn Suchchn
pei drr Rhinonautz'rünn muchn.
Duch, nn Hurrn - darr kimmnt nöxx raußßn;
tarumb schturbbdt diss Tüür pald außßn.

Rhinonautzerus

 - (ko2)

Nashorn (3) Es sieht fürchterlich aus, wegen seines anderthalb Ellen langen Hornes auf der Nase, [...] wegen seiner langen steifen Ohren und sehr kleinen Augen; wegen seiner schwarzgrauen, haarlosen und so faltichten Haut, daß man meint, es wäre angeschirrt oder mit Panzern bedeckt ... und wegen seines kurzen, nackten und nur am Zipfel behaarten Schwanzes. Es bringt alle Jahr ein Junges zur Welt und lebt vierzig bis fünfzig Jahr. Siehe Tafel 10 Figur n.  Es tobt entsetzlich und reißt und stößt Freunde und Feinde und überhaupt alles nieder, was ihm begegnet, selbstverständlich auch den Elefanten. Dieses entsetzliche wilde Ungeheuer wütet oft einen halben Tag in einem fort; deswegen schlägt man es gewöhnlich tot und ißt sein Fleisch und macht aus seiner Haut, die die härteste unter allen Tierhäuten der Welt ist, Peitschen, Riemen, Kannen, Schüsseln, Zelte und Kleider. -  Georg Christian Raff 1791, nach (schen)

Nashorn (4) Die vier Reisenden beschlossen, fortan landeinwärts zu wandern, und zu ihrem Glück kam eben in diesem Moment ein graumeliertes Nashorn des Weges, dessen sie sich sogleich bemächtigten. Sie setzten sich rittlings auf seinen

Nashorn

Rücken, der Quangel-Wangel hielt sich an seinem Horn und an den Ohren fest, und die Katze schaukelte am Schwanz des Nashorns hinterher.

So machten sie sich auf die Reise, nur mit vier kleinen Bohnen und drei Pfund Kartoffelbrei als Wegzehrung versehen. Es gelang ihnen jedoch, allerhand Hühner und Truthähne und andere Vögel zu fangen, die sich auf dem Kopf des Nashorns niederließen, um die Samen der Rhododendron-Stauden aufzupicken, die dort wuchsen. Dieses Geflügel bereiteten sie auf scheinheilige und geschmäcklerische Art und Weise zu, indem sie auf dem breiten Rücken des Nashorns ein Feuerchen anmachten. Eine Menge von Känguruhs und Riesenkranichen begleitete sie aus eitel Neugier und Gefallsucht, so daß sie stets genügend Unterhaltung hatten, und dergestalt zogen sie ihres Weges, in einer gewissermaßen prompten und üppigen Prozession.

So langten sie in weniger als achtzehn Wochen wohlbehalten in ihrer Heimat an, wo ihre erfreuten Verwandten sie mit Bewunderung und Verachtung empfingen, und wo sie beschlossen, ihre weiteren Reisepläne bis auf weiteres zu verschieben.

Was das Nashorn betrifft, so wurde es, zum Zeichen der unwandelbaren Dankbarkeit aller Reisenden, unverzüglich geschlachtet und ausgestopft, und noch heute kann jeder, der vorbeikommt, es als abspenstigen Abstreifer vor der Haustür ihrer Eltern bewundern. - (lea)

Nashorn (5)  mahnt zur Gelassenheit. Man behalte seinen Platz inne und bewahre die Ruhe; irgendwann wird sich einem das Ziel, das man anstrebt, von selbst nähern. - (ski)

Nashorn (6)  Die Herausgeber des Kinder-Buffon meinen 1837 noch immer, das Rhinozeros befinde sich «im ständigen Krieg mit dem Elefanten», welcher zwar mit seinen Stoßzähnen das kleinere Tier «zerfetze, zerhacke, in Stücke reiße», doch «der Sieg bleibt meistens auf seilen des Rhinozeros». Um so seltsamer muß dann das Schlußurteil der französischen Pädagogen klingen: «Das Rhinozeros ist weder blindwütig noch blutrünstig, ja nicht einmal ungewöhnlich wild, aber doch kein umgängliches Tier. Er ist so ungefähr in großem Maßstab das, was das Schwein im kleinen ist: schroff und roh, ohne Intelligenz, ohne Gefühl und ohne Gelehrigkeit.» - (schen)

Nashorn (7)  Nur vereinzelt tauchen sie vorerst in einer Provinzstadt auf, doch bald wächst jedem Bewohner auf der Stirn eine Beule, die sich zum Hörn verlängert und verhärtet. Irrational wie jede Massenpsychose breitet sich der Bazil-lus aus; er steckt auch den Logiker mit dem Strohhut an, für den als Formalisten auch Unsinn gilt, sofern der schlüssig ist, nicht nur für ihn Anlaß, mit Selbstverständlichkeit Absurdes von sich zu geben, wie es lonesco in unserem Alltagsgerede auch sonstwo aufgedeckt hat. Am Ende wird aus dem Sonderfall Rhinozeros die Majorität; es beginnt das Gesetz der größeren und großen Zahl zu spielen. Nur einer bleibt übrig: »Elend über den, der seine eigene Art bewahren will...: Mein Gewehr, mein Gewehr. Gegen alle Welt werde ich mich verteidigen. Ich bin der letzte Mensch. Ich werde es bleiben bis zum Ende. Ich kapituliere nicht«. Selbst seine Geliebte entscheidet sich fürs Nashornleben, das Schnauben der Tiere vernimmt sie als Singen, und in ihrem Stampfen entdeckt sie einen neuen Tanz. »Das einzige, was in meinen Augen zählt, ist das Dasein des Nashorns an sich«, meint ein anderer, der sich in der ersten Szene als stringenter Moralist gab und der nun bekennt: »Ehrlich gesagt, verabscheue ich die Menschen nicht. Sie sind mir gleichgültig. Besser gesagt, sie ekeln mich an. Doch wenn sie sich mir in den Weg stellen, zertrample ich sie«. Und ein nicht minder ehrenwerter Mitbürger erweist sich mit gesundem Menschenverstand als Rechtfertiger der Nashorn-Wandlung: »Was gibt es Natürlicheres als ein Nashorn... Weshalb sollte ich nicht ein Nashorn sein. Ich liebe Veränderungen«. - Ionesco, nach (loe2)

Nashorn (8)

Nashorn (9)  Das erste Nashorn auf dem europäischen Kontinent war nur ganz kurz zu sehen. Es fiel beim Ausladen im Hafen von Lissabon ins Wasser und ertrank. Nashörner haben ein ganz kurzes und äußerst scharfes Gedächtnis. Insofern gehören sie nicht zu den Dickhäutern, auch nicht zu den Grautieren. Der Genuß von Eibenblättern ist für Pferde tödlich, für Nashörner sehr wahrscheinlich auch, aber nicht für Wiederkäuer. Ist das nicht eigenartig, und müßte man das nicht eigentlich doch wissen?   - Peter Bichsel, Der Busant. Von Trinkern, Polizisten und der schönen Magelone. Darmstadt und Neuwied 1987

Nashorn (10)   Gemächlich trabte das Nashorn mehrere Male um das Gotteshaus herum, legte sich dann der Länge nach vor den Altar der Jungfrau und schlief ein. Napoleon, der gerade die Kubikwurzel aus 7.347 zu ziehen versuchte, war empört über dieses Benehmen und warf dem Nashorn einen Betschemel an den Kopf. Das Tier grunzte, spuckte ein wenig Essig aus und kehrte folgsam an seinen Platz hinter Napoleon zurück. - (per)

Nashorn (11)

Nashorn (12)  Das Nashorn hatte erfahren, was geschehen sollte. Schweißbedeckt und keuchend erschien es an der Ecke der Rue Castiglione. Es wurde ihm nicht einmal die Genugtuung, den Kampf aufzunehmen. Das Individuum, das die Umgebung von der Hohe der Säule beobachtete, lud seinen Revolver, zielte sorgfältig und drückte ab. Der Kommodore, der seit dem Tage, da das begonnen hatte, was er für den Wahnsinn seines Sohnes hielt, bettelnd durch die Straßen zog, und die Mutter, die man wegen ihrer äußersten Blässe das SCHNEEMÄDCHEN nannte, streckten ihre Brust vor, um das Nashorn zu schützen. Vergebliche Fürsorge. Die Kugel durchlöcherte das Fell wie ein Drillbohrer; mit einem Anllug von Logik hätte man annehmen können, daß der Tod unfehlbar eintreten müßte. Aber wir wußten, daß die Substanz des Herrn in diesen Dickhäuter eingegangen war. Verdrießlich zog er sich zurück. - (mal)


Nasentier Horn Tiere, große

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Synonyme
Hornnase