Nasenforscher   In dem Rechenschaftsbericht, den Hafen Slawkenbergius der Welt von seinen Motiven und Anlässen zum Schreiben gibt, und warum er so viele Jahre seines Lebens auf dieses einzige Werk verwendet hat — gegen das Ende seiner Vorrede, welche übrigens vorne hätte stehen sollen, die aber der Buchbinder aus Unverstand zwischen das Inhaltsverzeichnis des Buchs und das Buch selbst gebunden hat —, belehrt er seine Leser, daß er schon seit der Zeit, als er ins verständige Alter gekommen und fähig geworden war, vernünftig zu denken, den wahren Zustand und die Lage des Menschen zu betrachten und den eigentlichen Zweck und die große Bestimmung seines Daseins zu erkennen, oder — um meine Übersetzung abzukürzen, denn Slawkenbergius Buch ist lateinisch geschrieben und an dieser Stelle nicht wenig umständlich — von der Zeit an, sagt Slawkenbergius, da ich etwas begriff oder vielmehr wußte, warum der Bart wächst, und gewahr wurde, daß das Thema der langen Nasen von allen bisherigen Schriftstellern vernachlässigt worden war, habe ich, Slawkenbergius, einen starken Hang und eine mächtige und unwiderstehliche innere Berufung gefühlt, mich zu diesem Unternehmen zu gürten.

Und man muß Slawkenbergius Gerechtigkeit widerfahren lassen und gestehen, daß er die Kampfbahn mit einer stärkeren Lanze betreten und eine weit längere Strecke darin zurückgelegt hat als irgendein Mann, der sie vor ihm betrat, und daß er es wirklich in mancher Hinsicht verdient, allen Schriftstellern, zumindest den Verfassern umfangreicher Werke, als ein Muster aufgestellt zu werden, dem sie ihre Bücher nachzubilden hätten; denn, mein Herr, er umfaßt seine ganze Materie, hat jeden ihrer Teile dialektisch untersucht, darauf in die Helligkeit des Tages gerückt und so viel Licht darüber verbreitet, wie entweder die Kollision seiner eigenen Talente erzeugte oder die tiefste Einsicht in die Wissenschaften ihn darüber zu ergießen befähigte; er hat auf seinem Weg verglichen, gesammelt, kompiliert, gebettelt, geborgt, gestohlen, was nur in den Schulen und Hör-säien der Gelehrten darüber gesagt, geschrieben oder geschmiert worden ist, so daß man Slawkenbergius' Buch mit Recht nicht bloß als ein Muster betrachten kann, sondern als eine sorgfältig zusammengetragene Sammlung und regelrechte Nasenkuiide, welche alles enthält, was man darüber wissen will oder soll.

Aus diesem Grund enthalte ich mich, von so manchen (sonst) wertvollen Büchern und Abhandlungen in meines Vaters Sammlung zu sprechen, welche entweder geradezu über Nasen geschrieben worden sind oder sie nur nebenbei berührt haben; so zum Beispiel Prignitz, der da auf dem Tisch vor mir liegt und der uns mit unendlicher Gelehrsamkeit und nach der gewissenhaftesten und wissenschaftlichsten Untersuchung von mehr als viertausend verschiedenen Totenköpfen aus zwanzig schlesischen Beinhäusern, die er durchstöberte, berichtet hat, daß das Maß und die Bildung des beinernen oder knochigen Teils der menschlichen Nase in allen Ländern, abgesehen von der tatarischen Krim, wo sie alle mit dem Daumen eingedrückt werden, so daß man also über sie nicht urteilen kann, sich viel mehr gleichen, als die Welt denkt. Die Unterschiede, sagt er, sind so gering, daß es nicht lohnt, sidi dabei aufzuhalten. Da aber die Größe und Schönheit einer jeden Nase und das, wodurch eine Nase der anderen den Rang abläuft und in höherer Gunst steht, von ihren knorpeligen und muskulösen Teilen herrühren, in deren Röhren und Höhlen das Blut und die animalischen Geister durch die Wärme und Stärke der Imagination getrieben werden, die nur einen Schritt weit davon entfernt liegt (die Schwachsinnigen muß man ausnehmen, von welchen Prignitz, der viele Jahre in der Türkei zugebracht hat, meint, daß sie unter noch unmittelbarer Vormundschaft des Himmels stehen), so kommt es, sagt Prignitz, und es kann gar nicht anders sein, daß die Vor-; trefflichkeit der Nase in einem direkten arithmetischen Verhältnis zu der Vortrefflichkeit der Einbildungskraft ihres Besitzers steht.

Aus demselben Grund, weil nämlich schon alles im Slaw-kenbergius enthalten ist, sage ich ebenfalls nichts über Scro-derus (Andrea), der sich, wie alle "Welt weiß, mit großer Heftigkeit gegen Prignitz wandte und auf seine eigene Art bewies, erstlich durch logische Schlüsse und dann durch eine Reihe nichtssagender Erfahrungen, „Prignitz sei mit seiner Behauptung, die Einbildung wirke auf die Nase, so weit entfernt von der Wahrheit, daß gerade das Gegenteil richtig sei, daß nämlich die Nase auf die Einbildung wirke".

Die Gelehrten bezichtigten hierin den Scroderus einer unanständigen Sophisterei, und Prignitz schrie im Disput ganz laut, Scroderus habe ihm diese Idee untergeschoben, aber Scroderus blieb bei seiner Behauptung,

Mein Vater erwog gerade bei sich, welcher von beiden Seiten er beitreten sollte, als Ambrosius Paraeus in einem Augenblick die Sache entschied und ihn dadurch, daß er sowohl Prignitz' als Scroderus' System über den Haufen warf, beiden Parteien in der Kontroverse entzog.  - (shan)

Nasenwissenschaft Forscher

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