Da begann das Mädchen in aller Ruhe in der Nase zu bohren. -
(
gom
)
Salutor wird abgeführt.
Doch Salutor das gar nicht stört.
Er tröstet
sich ganz ungeniert,
Daß jeder doch einmal krepiert.
- Friedrich Schröder Sonnenstern, Moralische Fresserei,
aus: F.S.-S., Trostlied für Aus- und Angebombte. Hg. Gerhard Jaschke. Wien 1981
In ihrem Feenschloß auf der Insel Ogygia gelang es der Meeresnymphe Calypso,
den durch wilde Stürme verschlagenen Odysseus sieben Jahre an sich zu fesseln.
Sie bot ihm - neben ihrer sinnlichen Liebe - Unsterblichkeit und ewige Jugend
an, wenn er für immer bei ihr bliebe; ihn aber verzehrte das Heimweh nach Ithaka,
so daß er sich lieber den Tod wünschte. Auf dringliche Vorstellungen der Athene
sandte Zeus durch Hermes der Calypso den Befehl, den Geliebten freizugeben;
und daraufhin mußte sie ihm sogar Holz und Werkzeug für den Schiffsbau zur Verfügung
stellen. Nach späteren Sagen hatte Calypso von Odysseus zwei Söhne. In Daumiers
Karikatur ist von der Anmut der Zauberfee nicht viel übriggeblieben. Eine plump
und schwer gewordene Matrone bietet ihre dürftig verhüllten Reize dem Meer dar,
über das ihr der Geliebte entschwunden ist. Ihn zu vergessen, gelingt ihr nicht.
Darüber ist sie, die in der antiken Mythologie ewige Jugend zu verschenken hatte,
selbst alt geworden. Mit tief geränderten Augen, in der romantischen Pose der
Melancholie schaut sie - parallel zum Horizont des Meeres - in die leere Ferne
und bemerkt wahrscheinlich nicht einmal, daß ihr Daumier zur Irritation
den kleinen Finger der aufgelümmelten linken Hand
wohl deshalb in die Nase gesteckt hat, um sie darin puhlend
Trost finden zu lassen. -
(dau)
Nasenbohren (6) Anselm blinzelt immer wieder zu
dieser beträchtlichen Kuh, schläft die, nein, die, was die da tut, die bohrt,
in, der, Nase, zuerst wagt sie's nicht so recht, traut den Schläfern nicht ganz,
knabbert nur so am unteren Rand, der Finger, ein Kaninchen, noch scheu, schnell
hin und gleich wieder weg, aber die Nase ist damit nicht zufrieden, der Finger
auch nicht, wahrscheinlich hat sie jetzt zwei Zonen in der Nase, unten ausgeschabt
und befriedigend gebohrt, weiter oben noch die Spannung des Unberührten, vom
anderen, noch ganz unbebohrten Nasenloch, gar nicht
zu sprechen, also ich schlafe, von mir aus, mein Fräulein, bitte, und sie kommt
auch schon, klar, das hält kein Asket aus, eine angefangene Nase, das muß behoben
werden, ich lasse den Kopf vom Wagen geschau kel mitnehmen, sie soll sich sicher
fühlen, sie fühlt sich sicher, sie bohrt, wird immer gieriger, schaut gar nicht
mehr zu mir her, dreht den Blick einwärts auf ihren bohrenden Finger, fabelhaft
sieht sie aus, der Mund zerfällt, sie wehrt sich nicht mehr gegen die Schienenstöße,
macht das Ratata mit, liegt schon mehr als sie sitzt, so kommt sie offenbar
leichter hinein und hinauf, er muß sich arg zusammennehmen, den Schlafenden
spielen, sonst unterbricht er dieses Naturereignis, das seinen Höhepunkt hat
wie alle natürlich verlaufenden Naturereignisse, eine fast wütende Anstrengung
ihrerseits, sie erreicht etwas nicht in der Nase, was sie - will sie weiterleben
- sofort erreichen muß, sie streckt sich, schert den Ellbogen aus, streckt sich
noch mehr, die grünen Schuhe biegen sich quer auswärts, der Leib starr gerade
über den Sitzwinkel, das Gesicht kämpft, der Kopf biegt sich nach hinten, dann
hat sie's, Gott sei Dank, sie hat es, fällt zusammen, wird ungeheuer klein,
ein Nest von Gliedern, schläft ein, der Zeigefinger, der alles verrichtete,
liegt ein bißchen weniger krumm als die anderen Finger, sie atmet, ruhig, durch
die schöne Nase, die noch zweimal zuckt, als träume sie jetzt davon. - Martin Walser, Das Einhorn. Frankfurt am Main
1966
Nasenbohren (7, gegenseitiges)
Nasenbohren (8)
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