asenberührung   Eines Tages beschloß Giovannino Perdigiorno, Hänschen Tagedieb, nach Rom zu fahren, weil er die Nase des Königs anfassen wollte. Seine Freunde rieten ihm ab und sagten: »Paß auf, das ist gefährlich. Wenn der König zornig wird, dann verlierst du deine Nase und deinen ganzen Kopf dazu.«

Aber Giovannino war hartnäckig. Während seiner Reisevorbereitungen besuchte er den Pfarrer, den Bürgermeister und den Haupt'mann der Carabinieri und faßte sie alle drei an der Nase, aber so vorsichtig und so geschickt, daß sie es nicht einmal bemerkten.
 
»Also ist es gar nicht so schwierig«, dachte Giovannino.

Als er in die Nachbarstadt kam, ließ er sich das Haus des Gouverneurs, das des Präsidenten und das des Richters zeigen und stattete diesen hohen Persönlichkeiten einen Besuch ab und faßte auch ihre Nasen an, mit einem Finger oder mit zwei. Das mißfiel den Persönlichkeiten ein wenig, denn Giovannino erschien ihnen als ein wohlerwogener Mensch, und er wußte zu beinahe allen Themen etwas zu sagen. Der Präsident war ein wenig aufgebracht und rief laut: »Sie wollen mich doch nicht an der Nase herumführen

»Um Gottes willen«, sagte Giovannino, »das war wohl eine Fliege

Der Präsident blickte um sich, sah aber weder Fliegen noch Mücken, aber da verbeugte sich Giovannino eiligst und ging weg, wobei er nicht vergaß, die Tür zu schließen.

Giovannino hatte ein Notizbuch, in das er die Zahl der berührten Nasen eintrug. Es waren nur bedeutende Nasen.

In Rom aber stieg die Zahl der Nasen so rasch, daß sich Giovannino ein dickeres Notizbuch kaufen mußte. Man brauchte nur durch eine Straße zu gehen, und schon begegnete man auf dem kleinsten Stück Weg unweigerlich ein paar Exzellenten, einigen Unterministern und einem Dutzend großer Sekretäre.

Ganz zu schweigen von den Vorsitzenden, es gab mehr Vorsitzende als am Straßenrand Sitzende. Alle diese Luxusnasen waren in bester Reichweite für Giovannino Perdigiornos Hand. Ihre Besitzer nämlich verwechselten den sanften Nasenstüber mit einer Ehrenbezeugung, und einige gingen sogar so weit, daß sie ihren Untergebenen rieten, es ebenso zu machen, und sagten:

»Von nun an könnt ihr, anstatt euch vor mir zu verbeugen, mir einen sanften Nasenstüber geben. So ist es jetzt Sitte, das ist moderner und raffinierter.«

Anfangs wagten es die Untergebenen nicht, ihre Finger nach den Nasen ihrer Vorgesetzten auszustrecken. Diese ermutigten sie aber mit einem Lächeln von einem Ohr zum anderen, und dann wurde nicht gespart mit Getätschel, Klapsen und sanften Stübern:

Die hochgestellten Nasen wurden rot und glänzend vor Genugtuung.

Giovannino hatte indessen sein großes Ziel, nämlich die Nase des Königs anzufassen, nicht aus den Augen verloren, und er wartete nur auf eine gute Gelegenheit. Die zeigte sich bei einem Festzug. Giovannino beobachtete, wie sich hin und wieder einer der Anwesenden aus der Menge löste, auf das Trittbrett der königlichen Kutsche sprang und dem König ein Kuvert überreichte, vermutlich ein Bittgesuch, das der König lächelnd an seinen ersten Minister weitergab.

Als die Kutsche nahe genug gekommen war, sprang Giovannino auf das Trittbrett, und wahrend ihn der König einladend anlächelte,sagte er:

»Gestatten Sie«, streckte seinen Arm aus und rieb mit der Spitze seines Zeigefingers die Nasenspitze Seiner Majestät.

Der König faßte sich erstaunt an die Nase, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Giovannino hatte sich mit einem Sprung nach rückwärts schon unter der Menge in Sicherheit gebracht. Da brach ein großer Beifall los, und sogleich beeilten sich andere Bürger begeistert, Giovanninos Beispiel nachzuahmen; sie sprangen auf die Kutsche, packten den König an der Nase und schüttelten ihn kräftig hin und her.

»Das ist ein neues Zeichen der Huldigung, Majestät«, murmelte der erste Minister dem König lächelnd ins Ohr.

Aber der König hatte keine besondere Lust mehr zu lächeln: Seine Nase schmerzte ihn und fing an zu laufen, und er kam nicht einmal dazu, sich die Rotzglocke wegzuwischen, weil ihm seine treuen Untertanen keine Ruhe ließen und ihn vergnügt weiter an der Nase nahmen, um nicht zu sagen, an der Nase herumführten.

Giovannino kehrte befriedigt in sein Heimatdorf zurück. - Gianni Rodari, Das fabelhafte Telefon. Wahre Lügengeschichten. Berlin 1997 (Wagenbach Salto 65, zuerst 1962)

Nase

 

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