Farziß, magerer  Er geht die Treppenstufen hinunter, die in ihrem Alter, ja in ihrer Abgenutztheit (die mental ist: in Wirklichkeit sehen sie nämlich neu aus, duften ganz bürgerlich nach lavendeldurchtränktem Wachs) scheinbar nur das eine widerhallen lassen, wie vor fünfzehn oder zwanzig Jahren: "Onanieren, onanieren", warmes Fleisch des prallen und abgehäuteten, des erregten und ausgepreßten Schwanzes in der wenig eleganten Hose, die die Familie in ihrer schrecklich feinen Art wollte. Er geht ins leere Haus hinunter (eine neue Dienerin ist da) und tritt, ohne anzuklopfen, ins Zimmer seiner Mutter ein. Sie sitzt mit nacktem Rücken dem Eintretenden gegenüber, zum Spiegel gewandt, damit beschäftigt, sich für das Fest schön zu machen, zu dem sie gehen muß. Sie ist eine alte Frau - fünfzig -, sie hat nicht viele Alternativen, den Tag auszufüllen: sie besucht die literarischen Dienstage, die Ausstellungen der Fiat-Werke, erlebt das ganze mondäne Drumherum bei die­sen und anderen Ereignissen. Der Beginn der sechziger Jahre bringt Frauen wie sie noch ganz selbstverständlich hervor. Sie ist blond (eigentlich wäre sie von unauffälligem Grau), hat eine große Welle über dem Auge, als wäre sie fünfzehn Jahre jünger. Auch die Brust ist teilweise entblößt.

Obwohl der Vormittag weit fortgeschritten ist (die Party, zu der sie geht, findet um zwölf Uhr in einem Wolkenkratzer statt, auf einer Art Terrazza Martini), ist das Zimmer von einem abendlichen Halbdunkel durchdrungen, voll vom Gefühl, daß ein Tag zu Ende geht, daß sich alles verbraucht, daß man sich Grauenhaftes vornimmt, sich zurückzieht und ruht, wie es sich eben gehört. Die Mutter hat auch die Brust halb entblößt, und natürlich den ganzen Hals, den gestreck­ten, faltigen und mit einer Creme bedeckten Hals. Unter dem leichten Morgenmantel erkennt man die fülligen Schenkel. Carlo kommt auf sie zu und gibt ihr einen Kuß. Das war über eine verhältnismäßig lange Zeit hinweg eine alte Gewohnheit aus Carlos früher Jugend. Emma (wie Bovary) ist erstaunt. Sie stößt ein gackerndes Gelächter aus, alles auf O: "Oh, oh, oh!" und richtet sich wieder her, wie eine Henne nach dem Besteigungsangriff eines Hahns. Sie versucht zu sprechen, über Carlos Leben in Rom. Doch ihr Blick ruht auf dem Spiegel, und dort sieht sie Carlo aufrecht stehen, der eine Hand an den Unterleib preßt, als müsse er unbedingt pissen, was ihn unbeweglich  macht.  Emma hebt ihren Blick  zu  Carlos Gesicht, tut so, als wäre nichts, und sagt gespielt ruhig und abgehackt wieder: "Oh, oh, oh!" Doch ihr Blick senkt sich -ausgeschlossen, daß dies nicht so kommen würde -, und dies­mal sieht sie im Spiegel, wie Carlos Hände über den Unterleib reiben und ganz langsam die Hose aufknöpfen.  Emma konzentriert sich auf ihr Make-up und stäubt sich Puder ins Gesicht. Carlo beugt sich über ihren Hals und gibt ihr noch- -mals einen Kuß; nicht nur das, er leckt ihr auch den Rücken. Emma sagt: "Aber was machst du denn da?" wie irgendeine Göre oder irgendeine Nutte. Carlo antwortet ihr (das ist der Gipfel): "Halt den Mund, Mama." Sie hält den Mund und beschäftigt sich wieder mit ihrem Puder. Natürlich ereignet sich gar nichts. Über ihre Augen aber hat sie keine Kontrolle, und diese richten sich wieder auf den Spiegel und sehen, ohne daß Mißverständnisse möglich wären: Carlos Penis, kerzen­gerade aus der Hose ragend, gespannt, hart, auf sie gerichtet. Da erschrickt Emma und will von ihrem Hocker, auf dem sie im offenen Morgenmantel sitzt, aufstehen. Carlo hat nichts dagegen, doch als sie steht, packt er sie unter den Achselhöhlen und stößt sie zum Bett (inzwischen ist der Morgenmantel, der über ihren Körper geworfen war - sie hatte ihn nicht an -, heruntergeglitten), wobei er zu ihr sagt: "Komm her!" Emma sagt: "Aber Carlo, Carlo", und obgleich sie so stark ist wie eine Kuh, gelingt es ihr nicht, sich aus der Umklammerung dieses kleinen fünfunddreißigjährigen Narziß zu befreien, der spindeldürr ist wie ein Halbwüchsiger. Carlo schafft es, sie aufs Bett zu werfen und sie zu besteigen, nachdem er ihren Schlüpfer zerrissen hat.   - Pier Paolo Pasolini, Petrolio. Berlin 1994

 

Narziß Magerkeit

 

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