arziß
»Es stimmt gar nicht«, kommentierte der Dichter, »daß Narziß
in sein eigenes Spiegelbild verliebt war. Wahr
ist vielmehr, daß er begabt oder geschlagen war mit einer übermächtigen
Weltliebe. Er war geboren und wuchs auf mit einer Zärtlichkeit für die
Wesen und Erscheinungen von seinen Fingerspitzen bis in das hinterste Universum.
Der junge Narziß war die Zu- und Hinneigung in Person und wünschte nichts
mehr, als die ganze Welt in seine Arme zu schließen. Aber die Welt, die
Menschenwelt zumindest, ließ das nicht zu, wich vor ihm weg, gab ihm den
Blick der Liebe nicht zurück. Seine Begeisterung vom Dasein und seine Zuneigung
zu Bekannt und Unbekannt fanden nirgends einen Halt. Und so mußte er mit
der Zeit den Halt an sich allein suchen. Und so verklammerte sich der große
Weltliebhaber Narziß an sich selber. Und so ging er zuletzt zugrunde. Aber
immerhin, gut so, besser so: Er hätte ja statt dessen auch Welteroberer,
Schlachtenschläger, Staatsmann, Gesellschaftstheoretiker, Prediger,
Geißel Gottes, Prophet, Religionsgründer,
National- und Universaldichter werden können.« - Peter Handke, In
einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus. Frankfurt am Main
1999 (st 2946, zuerst 1997)
Narziß (2) Der sehr auf sein Äußeres
bedachte Dürer liebte aufwendige Kleidung und unterstrich dadurch
mit Stolz seine Stellung als Malerfürst. Sein Selbstbildnis aus dem Jahre
1500 zeigt ihn in der Lebensmitte am Ende des alten und zu Beginn des neuen
Jahrhunderts. Während die Finger der linken Hand über den üppigen Fellbesatz
am Gewand streichen, betrachtet sich Nürnbergs Narziß selbstverliebt im
Spiegel. Solche Pelze von Wildtieren, die meist
in Rußland in die Falle gegangen waren, trugen einen Teil zu Nürnbergs
Handelsreichtum bei; sie zierten die Kleidung von Männern der Macht und
vornehmer Herkunft. Hier jedoch schmückt sich Dürer mit diesen reichen
Gaben der Natur; er hat sie sich persönlich erworben, einzig durch die
Macht seiner Kunst, mit Bildern, die er allein geschaffen
hat. - Colin Eisler, Dürers Arche Noah. Tiere und Fabelwesen
im Werk von Albrecht Dürer. München 1996 (zuerst 1991)
Narziß (3) Es heißt von
ihm, er habe in einer Quelle seinen Schatten gesehen und sich in Liebe verzehrt,
woraufhin er ins Wasser sprang, um darin den Schatten zu umarmen, und sc sei
er ertrunken. Das stimmt aber nicht. Er ertrank nämlich nicht im Wasser, sondern
da er in der unsteten Natur des leiblichen Körpers seinen Schatten, also im
Körper das Leben sah, das ja das äußerliche Erscheinungsbild der Seele ist.
Sie trachtete er zu umarmen so wie eine Verwandte, das heißt, er liebte ein
Leben, das sich an ihr orientierte, und dabei ertrank er als einer, der die
wahre Seele zugrunde gerichtet hat. - Anonymer Mythograph des Vatikan,
nach: Mythos Narziß. Texte von Ovid bis Jacques Lacan. Hg. Almut-Barbara Renger.
Leipzig 2005
Narziß (4)
Narziß (5, schwuler)
- Bernard Montorgueil
Narziß (6)
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