Namensgedächtnis    Dort. Auf dem riesigen, unbebauten Gelände voller Schlupfwinkel. Wo es Blindschleichen zu zerstückeln und Judenstrick zu rauchen gab. Wir saßen uns in einem Busch gegenüber, Gudrun und ich. Sie war ein Jahr älter, zehn oder elf, weiß nicht mehr, wir hockten da, in Unterhosen beide, und sie sagte, komm, jetzt zeigen wirs her, ich sagte gut, machen wir, fang an, und sie, nein, du fängst an, und ich zögerte, schämte mich, aber ich dachte, du mußt mutig sein, sonst siehst du ja nie, was du so gerne sehen willst, und zog meine Unterhose herab, ein steifer Schwanz sprang hervor, und Gudrun begann zu kichern und rannte davon, und Ingo, ebenso kichernd, sprang aus dem Versteck, aus dem heraus er uns zugesehen hatte, zuvor von der kleinen Schlampe bestellt und plaziert. Ich wollte vor Scham sterben und schlich nach Hause. Das Trauma zersetzte sich erst ein halbes Jahr später, als wir Jungs uns alle um die Wette einen runterholten und ich vor den anderen plötzlich als mutig galt. Ingo, der Legastheniker, der jedem einen blies, der das wollte, behauptete, er hätte Gudruns Spalte gesehen und sogar geleckt, wir glaubten ihm kein Wort.

Mit 18, nach der geglückten Flucht von dort bis hier, beschloß ich, Gudrun als Symbol aller versäumten Wünsche zu suchen, zu verführen, notfalls zu vergewaltigen. Glücklicherweise fand ich sie nicht, weil mir ihr Nachname entfallen war.   - Helmut Krausser, Schweine und Elefanten. Reinbek bei Hamburg 1999

Namen Gedächtnis

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