Nadelöhr     Es ist schon seltsam, wieso mir, da ich doch grundsätzlich ohne Körper bin und daher keinerlei Position einnehme, was ja das Problem der List sinnlos werden läßt, der Abdruck des Todes, die horizontale Lage, die so unvernünftig und absolut unanwendbar scheint, geblieben ist; eine langgezogene Position, den Kopf zurückgelegt bei jedweder Richtung, die dem Körper auferlegt wird, und die es unmöglich macht, sich irgendeinen Eindruck dieser Position zu verschaffen. Jetzt, da ich tot bin, was den letzten und dem-nächstigen Zustand meines Lebendigseins darstellt, denke ich mir mich, obgleich ich keine Form habe, als dennoch und definitiv horizontal, Beine und Füße voraus, auf Höhe des Kopfes, wie ein Faden, der sich in ein Nadelöhr einzufädeln versucht, oder vielmehr als einen Faden, der durch Verformung des Gewebes oder durch irgendeine Bestrafung, falls ein Faden bestraft werden kann, so verwirrt ist, daß er nach rückwärts schauen muß; ein Faden, der versucht, mit den Füßen in ein Öhr zu fahren, aber nicht nur nicht weiß, wie er liegt, sondern auch nicht weiß, ob er überhaupt liegt; und obgleich ich überzeugt bin, daß in dieser Gegend irgendein Öhr sein muß, keine Ahnung hat, ich keine Ahnung habe, ob ich es ausmachen und in es eindringen kann; andernseits, wie ich sagte, scheint mir, daß ich Schlitze, Spalten, Öffnungen, die Ohren gleichen, entdeckt und auch durchzogen hätte, doch ohne Erfolg, sodaß ich zweifle, ob es nicht Ringe seien, irgendwelche Kringel, die sich von selbst über meinen Körper ziehen und mir die Illusion einer Bewegung, eines Fortschrittes vermitteln.

Schon wieder habe ich von Körper gesprochen, aber ich weiß, wie jeder, der hier sein könnte und es verstünde, daß es hier keinen Körper gibt, nicht nur meinen Körper nicht gibt, sondern absolut keinen Körper, und daß hier weder ein Ort ist noch ein Raum. Und dennoch spreche und denke ich von mir als von einer Form, einer Linie, oh, gewiß ohne Schuhe, wenn sie auch diesem Körper welche angezogen haben, ohne Jacke und Hose und auch die Krawatte - eine zweifellos überholte Krawatte, die man wahrscheinlich als Lieblingskrawatte ausgewählt hat, oder weil man meinem Zustand als Toter Zugeständnisse machen wollte. Natürlich, das Fehlen der Schuhe liegt auf der Hand, aber die Form der Abwesenheit der Füße ist sehr beunruhigend; ich übertreibe vielleicht, aber es bekümmert mich - vor allem falls ich sie benützen muß, was benützen? Die kleinen Zehen, die großen Zehen, um das Nadelöhr abzutasten, eine nicht vorhandene große Zehe, um das Loch zu erkennen, etwas, was nicht existiert, auch falls hier ein Ort wäre.  - Giorgio Manganelli, Von der Unehre. In: G. M., An künftige Götter. Berlin 1987

Nadelöhr (2)

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