acken
Glücklicherweise sammeln sich nur ein paar Schneeflocken auf dem Fensterbrett,
liegen die Bücher und Notizen wie gewohnt neben dem Bett, sind die Theoretiker
allein und noch einmal dem Schicksal entkommen, ohne selbst eine Erinnerung
daran zu haben. Alles wirkt jedoch derart verändert, dass ihnen die Zukunft
nicht mehr begehbar erscheint. Dabei muss es sich nicht unbedingt um eine sorgsam
zugedeckte und ohne äußerlich erkennbare Wundmale dennoch mit ziemlicher Sicherheit
erwürgte Frau handeln, da die Theoretiker doch
kaum Kraft in den Fingern haben, andererseits jedoch der Nacken, bezeichnenderweise
Übergang und Verbindung von Körper und Kopf, so empfindlich strukturiert ist,
dass selbst ein schwacher Griff und eine minimale Verschiebung ausreichen, um
den Tod herbeizuführen. - (raf)
Nacken
(2) Ȇbrigens, da gibt es etwas, was mich niemals hat
ruhen lassen«, sagte er, »und das Ist die Sache mit der Guillotine. Man sagt,
der Scharfrichter müsse sein eigenes Messer mitbringen, so wie man von einem
Ehemann erwartet, daß er sein eigenes Rasiermesser stellt. Schon das allein
läßt sein Herz im Leibe verfaulen, bevor er auch nur einen einzigen Kopf abgeschnitten
hat. Eines Abends schlenderte ich den Boulevard St. Michel entlang und
lasse meine Augen flattern, da sehe ich einen mit einer roten Nelke im Knopfloch.
Ich frage ihn, wozu er das trage - nur so, um eine harmlose Unterhaltung anzuknüpfen
-, und er sagt: ›Das Vorrecht des Henkers!‹ - Mir wurde schlapp wie geklautem
Regierungslöschpapier. ›Früher‹, sagte er, ›hielt der Scharfrichter die Nelke
zwischen den Zähnen !‹, und da kenterte mein Gedärm, und ich sah ihn vor mir,
wie er das Beil abzog, die Blüte im Mund wie Carmen, ausgerechnet er, der Einzige,
der in der Kirche die Handschuhe anbehalten muß! Diese Leute enden ja oft, indem
sie sich selbst in Scheiben schnitzeln; ein Rhythmus, der schließlich den eigenen
Nacken trifft. Er beugte sich vor, strich mit der Hand über den meinen und sagte:
›2iemHch viel Haar, und so dicht, das macht es etwas schwierig!‹ Und in diesem
Moment setzte mein Herz aus, und zwar für den Rest meines Lebens. Ich legte
einen Franc hin und floh wie der Wind. Das Haar auf dem Rücken stand mir zu
Berge, wie Königin Annas Halskrause! Und ich rannte, bis ich, bums, inmitten
des Musee de Cluny stand und mich am Gestänge festhielt.« - Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt am Main 1981 (zuerst 1936)
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