Dieses »Etwas« intrigierte ihn - so die dunklen Stellen in den Geschichtswerken, vor allem den Memoiren, die er mit Leidenschaft las, doch auch im persönlichen Verkehr. Er schätzte komplizierte Charaktere, doch die Motive mußten wie Rätsel lösbar sein. In der Astrologie sah er ein wichtiges Hilfsmittel.
Wie ihn das zurückbleibende »Etwas« beim Aufräumen in der Wohnung, bei den Gängen durch die Geschichte und in den Charakteren störte - so auch ein nicht Aufzuhellendes in der Vergangenheit der Menschen, die seinen Weg kreuzten, der Frauen speziell. Immer und selbst bei den jüngsten war etwas gewesen, auch wenn man sich noch so fest einbildete, der Erste zu sein. Wenn man streng genug nachforschte, kam der Cousin in der Gartenlaube zum Vorschein oder der liebe Onkel beim Pfänderspiel.
Das mußte er wissen, wenn ihm ein Täubchen ins Garn gegangen war. Er brachte dann auch, wie den Zahn mit der Nagelfeile, heraus, was ihm verdrießlich war. Er sagte auch: »Es gibt über jeden eine letzte Wahrheit; würde man sie ihm enthüllen, so schnitte man ihm die Sehnen durch.«
Peinliche Sauberkeit gehört zum Bild. Er fühlte sich unbehaglich, wenn er nicht zwei Mal am Tag das Hemd wechselte. Er liebte die heißen, nächtlichen Bäder mit den Meditationen, die sich dann einstellen. Zuweilen suchte er, um sich zu montieren, schon am Vormittag das Türkische Dampfbad in der Friedrichstraße auf, ein Zentrum tyrannischer und fremdartiger Wollüste.
Edmond war weniger anmaßend als Zerbino, doch gefährlicher. Sein halb meditativer, halb lethargischer Zustand wurde von aktiven Phasen unterbrochen, als ob er sich im Dahindämmern einen Sprung überlegt hätte. Er war Fähnrich in einem polnischen Reiterregiment gewesen und desertiert. Einmal hatten sie bei glühender Hitze ein Dorf erobert und dort wie die Dämonen gehaust. Bilder davon erhielten sich mir im Gedächtnis mit den grell abgesetzten Farben östlicher Holzschnitte. So das Grün der Gurken, die sie mit aufgekrempelten Ärmeln aus riesigen Fässern gefischt und mit unglaublicher Lust verschlungen hatten, während einer der Reiter auf beiden Armen eine schreiende Magd in den Holzstall trug. Sie schlangen die Gurken in sich hinein, die sich im ausgedörrten Munde in reinen Saft verwandelten; das rote Kopftuch flatterte.
Soziologisch betrachtet, war Edmond einer der Reiter ohne Pferd, die damals
in Menge das Pflaster traten und deren Anteil an den Unruhen, die sich vorbereiteten,
zwar anonym, doch bedeutend war. Wenn man etwas nachgräbt, wird man sie überall
aufspüren. Sie sattelten dann auf die Maschine um. Bei Edmond kam ein sarmatisches
Element hinzu. Reiten war nicht nur ein Herrenvergnügen, sondern auch ein tyrannischer
Akt. Das kam in seinem behaviour zum Ausdruck, auch im Erotischen. - Ernst Jünger, Annäherungen. Drogen und Rausch. Frankfurt am Main u.a.
1980 (zuerst 1970)
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