achtmensch   Hinsichtlich der Wahrnehmung, besonders nächtlicher Dinge, hätte er es mit Kubin aufnehmen können, doch fehlte ihm die Gestaltungskraft. Seine Lust beschränkte sich auf die Beobachtung und auf die Kombinationen, die sich daran anknüpften. Nachts konnte er lange untätig allein sitzen. Wenn etwas geschah, verwischte er die Spur. Einmal schraubte er das Türschloß heraus, nahm es bis in die kleinsten Teile auseinander und setzte es wieder ein. Ein anderes Mal bohrte er sich mit der Nagelfeile einen Zahn heraus. Obwohl er sich viel mit Büchern und Papieren beschäftigte, war es bei ihm immer bis in das letzte aufgeräumt. Es lag ihm viel daran, jedem Gegenstand bis auf die Stecknadel seinen Platz zuzuweisen, und es beunruhigte ihn, daß das nicht bis auf den I-Punkt möglich war. »Wissen Sie, etwas bleibt immer, wo die Unruhe wieder ansetzen kann - ein unerledigter Brief, ein geliehenes Buch, ein Schlüssel, von dem man nicht weiß, zu welchem Schloß er gehört.«

Dieses »Etwas« intrigierte ihn - so die dunklen Stellen in den Geschichtswerken, vor allem den Memoiren, die er mit Leidenschaft las, doch auch im persönlichen Verkehr. Er schätzte komplizierte Charaktere, doch die Motive mußten wie Rätsel lösbar sein. In der Astrologie sah er ein wichtiges Hilfsmittel.

Wie ihn das zurückbleibende »Etwas« beim Aufräumen in der Wohnung, bei den Gängen durch die Geschichte und in den Charakteren störte - so auch ein nicht Aufzuhellendes in der Vergangenheit der Menschen, die seinen Weg kreuzten, der Frauen speziell. Immer und selbst bei den jüngsten war etwas gewesen, auch wenn man sich noch so fest einbildete, der Erste zu sein. Wenn man streng genug nachforschte, kam der Cousin in der Gartenlaube zum Vorschein oder der liebe Onkel beim Pfänderspiel.

Das mußte er wissen, wenn ihm ein Täubchen ins Garn gegangen war. Er brachte dann auch, wie den Zahn mit der Nagelfeile, heraus, was ihm verdrießlich war. Er sagte auch: »Es gibt über jeden eine letzte Wahrheit; würde man sie ihm enthüllen, so schnitte man ihm die Sehnen durch.«

Peinliche Sauberkeit gehört zum Bild. Er fühlte sich unbehaglich, wenn er nicht zwei Mal am Tag das Hemd wechselte. Er liebte die heißen, nächtlichen Bäder mit den Meditationen, die sich dann einstellen. Zuweilen suchte er, um sich zu montieren, schon am Vormittag das Türkische Dampfbad in der Friedrichstraße auf, ein Zentrum tyrannischer und fremdartiger Wollüste.

Edmond war weniger anmaßend als Zerbino, doch gefährlicher. Sein halb meditativer, halb lethargischer Zustand wurde von aktiven Phasen unterbrochen, als ob er sich im Dahindämmern einen Sprung überlegt hätte. Er war Fähnrich in einem polnischen Reiterregiment gewesen und desertiert. Einmal hatten sie bei glühender Hitze ein Dorf erobert und dort wie die Dämonen gehaust. Bilder davon erhielten sich mir im Gedächtnis mit den grell abgesetzten Farben östlicher Holzschnitte. So das Grün der Gurken, die sie mit aufgekrempelten Ärmeln aus riesigen Fässern gefischt und mit unglaublicher Lust verschlungen hatten, während einer der Reiter auf beiden Armen eine schreiende Magd in den Holzstall trug. Sie schlangen die Gurken in sich hinein, die sich im ausgedörrten Munde in reinen Saft verwandelten; das rote Kopftuch flatterte.

Soziologisch betrachtet, war Edmond einer der Reiter ohne Pferd, die damals in Menge das Pflaster traten und deren Anteil an den Unruhen, die sich vorbereiteten, zwar anonym, doch bedeutend war. Wenn man etwas nachgräbt, wird man sie überall aufspüren. Sie sattelten dann auf die Maschine um. Bei Edmond kam ein sarmatisches Element hinzu. Reiten war nicht nur ein Herrenvergnügen, sondern auch ein tyrannischer Akt. Das kam in seinem behaviour zum Ausdruck, auch im Erotischen. - Ernst Jünger, Annäherungen. Drogen und Rausch. Frankfurt am Main u.a. 1980 (zuerst 1970)

 

Nacht

 

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