Nachthase  Konrad war sehr still, als wir in mein Zimmer kamen. Ich löste seine Krawatte, nahm Ihm den Stehkragen ab und öffnete seine Weste. Die ganze Zeit machte ich kleine schnurrende Geräusche und wisperte ihm ins Ohr, wie nett es war, zur Abwechslung emmal einen Mann wie ihn hier zu haben, und wie sehr ich darauf aus war, mit ihm ins Bett zu gehen. Ich hielt mich zurück und war in keiner Weise ordinär. Das erste Mal konnten Freier leicht in Panik geraten und davonlaufen, mit Kragen und Krawatte in der Hand. Konrad hatte gerade das richtige Alter, knapp über vierzig, treu und wahrscheinlich zwanzig Jahre mit einer Frau verheiratet, mit einigen Kindern. Er fühlte, wie die Zeit verging um daß es vielleicht etwas Besseres gab, jünger und vergnügliche als eine gelangweilte Frau, die im Vögeln nichts anderes sah als Pflichterfüllung. Als Konrad sich seiner Kleider entledigt hatte, stand er da mit einem wundervoll stämmigen Körper, mit gelbem Flaum überall auf der Brust und an anderen Stellen, mit einem erstaun-, liehen und wunderbar aufgerichteten Instrument, das mir bewies, daß er trotz all seiner Schüchternheit munter und an mir; interessiert war. Daß er mit dem Kunsttischler hierher gekommen war, zeigte schon, daß er auf Abenteuer aus war, auf Abwechslung und Befriedigung. Mein Zeitungsfreund sagte gewöhnlich: "Befriedigung ist die einzige Sünde". Ich umarmte ihn und streichelte ihn überall, und bald lagen wir in der richtigen Stellung. Ich breitete mich unter ihm aus, verführerisch und appetitlich wie eine einladende Tafel. Er kam über mich und sagte: "Wie schön, wie schön!" Ich half ihm auf den richtigen Weg. Er krümmte sich zusammen und schrie auf, als sei er vom Blitz getroffen. Ich bemerkte sofort, daß er noch niemals in einer Vagina gesteckt hatte, die ihn umspannen und festhalten konnte.

Es kam ihm beinahe sofort, und mir kam es zusammen mit ihm. Ich glaube, ich fühlte mich geschmeichelt durch die Begeisterung eines Mannes, der noch niemals in einem Bordell gewesen war. Ich meine einen Mann wie Konrad Ritcher, der nicht ein zittriger Schüler war, der zu seinem Jungfernstich kam, oder ein Sonderling, der sich so lange zurückhielt, daß er einen beinahe entzweisägte und endlos weitermachte. Den mußte man antreiben und ermutigen, und es war, als ob man einen Maulesel zu einer Arbeit anpeitschte, die er nicht verrichten wollte.

Bei Konrad war alles frisch, beinahe jungenhaft, und doch war er ein ganzer Mann. Er hatte sich nicht weggedreht und lag auf mir, während ich meine Muskeln anspannte. Nach einiger Zeit, wir sprachen überhaupt nicht, fingen wir von vorne an. Er blieb die Nacht über, wir nannten das einen Nachthasen. - Nell Kimball, Madame - Meine Mädchen, meine Häuser. Hg. Stephen Longstreet. Frankfurt am Main, Wien und Berlin 1982 (entst. ca. 1917-1932)

 

Nacht Hase Nachttier

 

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