Mythenkorrektur  Die Hände immer noch in den Taschen, gestand mir Dagoberto jetzt mit einem schamhaften Lächeln - als lüfte er ein sündiges Geheimnis -, daß ihm Tortillas mit Kürbis womöglich noch besser schmeckten als die mit Kartoffel und Zwiebeln oder die mit Artischocken, daß er die mit Knoblauch aber nicht ertragen könne, ja, er könne es nicht einmal ertragen, wenn sie jemand in seiner Gegenwart verzehre.

Bei diesem Geständnis fiel mir der Klarinettist aus unserer Blaskapelle ein, der Knoblauch über alles liebte, und ich erzählte Dagoberto, bei Proben in geschlossenen Räumen würde uns anderen deshalb fast übel.

»Na sagen Sie mal!«, rief Dagoberto, »wie können sie denn ein solch verabscheuungswürdiges Subjekt in Ihrer Mitte dulden?«

»Immerhin«, bemerkte ich, damit er nicht auf den Gedanken kam, ich würde ihm nach dem Mund reden, »heißt es, Knoblauch sei gut für die Verdauung.«

»Das kommt darauf an, was Sie essen«, erwiderte Dagoberto.

Eine dämliche Antwort war das, und vor allem nicht korrekt, aber ich sagte nichts. Während ich schwieg, verbreitete sich Dagoberto über Dracula, der ebenfalls einen Widerwillen gegen Knoblauch hegte. Und er fuhr fort, wenn er ihm auf der Kinoleinwand begegne, fühle er sich befreit von seltsamen und geheimnisvollen Neigungen.

»Was für Neigungen denn?«, fragte ich.

Er antwortete nicht, aber starrte mich an aus seinen roten Augen und streichelte mit dem Finger den Eckzahn neben seinem silberbeschlagenen Hauer. Dann fuhr er wieder mit der Hand in die Hosentasche und starrte mir weiter ins Gesicht. Ich fand den Witz geschmacklos. Die Lokomotive stieß in diesem Moment mehrere kurze Pfiffe aus, als verlange sie freie Fahrt, und Dagoberto sagte, mit zurückgelehntem Kopf und herabgelassenen Lidern - möglicherweise, damit ich seine Augen nicht sehen konnte -, Dracula sei eine Art Psychoanalytiker, der auf passive Art die Lasten all jener verklemmten Kinogänger erdulde, die kämen, um ihn zu sehen.

»Wenn Sie mich fragen«, bemerkte jetzt ich, »dieser Dracula ist ein Wüstling wie er im Buche steht. Es gibt nicht eine Frau, die in seinen Filmen auftritt, die nicht davon profitierte.«

»Was meinen Sie damit, wenn Sie von profitieren reden?«, fragte er, öffnete die Augen und zwinkerte mit dem linken.

Lächelnd erwiderte ich, er habe mich schon ganz gut verstanden. Aber dann fügte ich ernst hinzu, wir alle hätten etwas übrig für Frauen, aber es gäbe schließlich solche und solche Formen, sie zu gewinnen, und ich fände es nicht schicklich, sie in den Hals zu beißen.

Wie gesagt, diese Bemerkung machte ich halb im Scherz, und Dagoberto gab keinen Kommentar. Eine ganze Zeitlang schwieg er mit geschlossenen Augen und den Händen in den Hosentaschen. Ohne die Augen zu öffnen, aber in verändertem Ton, fragte er mich dann, ob ich tatsächlich der Ansicht sei, daß Dracula einen Widerwillen gegen Knoblauch hege. Ich sagte ja, er habe das ja eben selbst gesagt, aber Dagoberto schien schon wieder ein anderer Mensch geworden und gab in respektvollem Ton zu bedenken, daß dem Knoblauch in der Tat beträchtliche medizinische Tugenden innewohn-ten, er sei reich an Jod und Schwefel und schütze gegen Arteriosklerose, weil er anregend auf den Blutkreislauf wirke.

»Wenn Sie meine Meinung wirklich interessiert«, sagte er, »ich bin überzeugt, daß Dracula überhaupt nichts gegen Knoblauch einzuwenden hatte.«

Ich fragte, worauf sich diese Meinung stütze und er erwiderte, Dracula hätte gewiß im ganzen Land für die Verbreitung der Ansicht, er habe gegen Knoblauch einen Widerwillen, eigens gesorgt, mit dem Ziel, den Knoblauchkonsum unter den Dorfbewohnern anzuheizen, um sicher sein zu können, daß das Blut in den Adern seiner Opfer reibungslos und ohne Stockungen flösse, wie ein köstlicher, unerschöpflicher Lebensquell.

»Verstehen Sie mich jetzt?«

Nach dieser Frage fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen, als ob ihm das Wasser im Mund zusammenliefe, und schnurrte wie ein Kater.   - Javier Tomeo, Unterhaltung in D-Dur. Berlin 1995

 

Korrektor Mythos

 

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